Heimlich
beobachtet. Und was hast du noch gedacht?«
»Daß du zu gut bist, um Cop zu sein. Nein - unterbrich mich nicht, so habe ich das nicht gemeint; ich bin froh, daß du Cop bist. Wenn es dich nicht gäbe, könnte Eddie Engels ungestraft Frauen töten. Ich glaube nur, du könntest im Sinne des Wortes alles mögliche sein. Und ich dachte auch daran, daß ich nicht in einem schicken Restaurant umschwänzelt werden möchte; ich möchte da nicht durchhumpeln und mitleidige Blicke auf mich ziehen.«
»Dann können wir doch am Strand essen. Ich laß uns im Restaurant einen Picknickkorb und eine Flasche Wein holen.«
Lorna lächelte und blies mir Rauch ins Gesicht, dann warf sie ihre Zigarette zum Fenster hinaus. »Das ist eine gute Idee«, sagte sie.
Ich hielt auf dem geteerten Parkplatz, der, ungefähr hundert Meter vom Strand entfernt, an das Restaurant grenzte. Lorna wartete im Wagen, während ich Essen holen ging. Ich bestellte drei Portionen Krebsfleisch und eine Flasche Chablis. Der Ober zögerte, eine Bestellung »zum Mitnehmen« entgegenzunehmen, aber als ich ihm einen Fünfer in die Tasche steckte, hatte er keine Bedenken mehr. Er entkorkte die Flasche sogar für mich und legte mir zwei Gläser in den Korb.
Als ich zurückkam, stand Lorna neben dem Wagen und rauchte. Als sie mich kommen sah, starrte sie in die Luft und zeigte mit ihrem Stock zum Himmel. Ich sah auch nach oben und bemerkte einen zwielichtigen Himmel und eine tiefhängende Wolke wie aus dem Poesiealbum.
Eine wacklige Holztreppe führte hinunter zum Strand. Ich trug unser Picknick, und Lorna hinkte neben mir her. Die Treppe war kaum breit genug für uns beide, deshalb legte ich einen Arm um Lorna, und sie schmiegte sich an meine Brust und hüpfte den ganzen Weg auf ihrem gesunden Bein nach unten. Sie lachte, und als wir unten ankamen, war sie außer Atem. Auf einer kleinen Erhebung fanden wir einen hübschen Sitzplatz. Die Sonne war ein orangener Ball, der Lornas hellbraunes Haar in glänzendes Gold verwandelte.
Wir saßen im Sand, und ich legte unser Essen auf die braune Papiertüte, in der wir es gebracht hatten. Ohne große Förmlichkeiten verputzten wir schnell und schweigend die Schalentiere. Während wir aßen, war die Sonne untergegangen, aber das große Fenster des Restaurants warf noch einen rötlichen Schein zurück, der uns ein schwaches Licht spendete.
Lorna zündete sich eine Zigarette an, ich goß uns Wein ein. »Auf den 2. September 1951«, sagte ich.
»Und auf den Anfang.« Lorna lächelte, und wir stießen an. Ich wußte nicht recht, was ich sagen sollte, aber Lorna. »Wer bist du?« fragte sie.
Ich trank meinen Wein aus und spürte, wie er mir sofort in den Kopf stieg. »Ich bin Frederick Upton Underhill«, sagte ich. »Ich bin siebenundzwanzig Jahre alt, Waise, Collegeabsolvent und Polizist. Soviel weiß ich. Und ich weiß, daß du mich im aufregendsten Abschnitt meines Lebens gefangen hast.«
»Dich gefangen?« lachte Lorna.
»Nein, besser gesagt, ich habe dich gefangen.«
»Du hast mich nicht gefangen.«
»Noch nicht.«
»Du wirst mich wahrscheinlich nie fangen.«
»Wer ›wahrscheinlich‹ sagt, weicht aus, Lorna.«
»Schau, Freddy, du kennst mich nicht.«
»Noch nicht.«
»Gut, noch nicht.«
»Aber in gewisser Weise doch. Im letzten Winter war ich im Haus deines Vaters. Ich sah Fotos von dir. Ich habe mit Siddell über dich gesprochen, und sie erzählte mir von dem Unfall und vom Tod eurer Mutter. Damals glaubte ich, dich zu kennen, und jetzt glaube ich das immer noch.«
Lornas Augen blitzten zornig, und sie sprach mit eiskalter Stimme: »Du hattest kein Recht, in meinem Leben herumzuschnüffeln. Und wenn du mich bedauerst, wirst du mich nie wiedersehen. Dann werde ich zum Restaurant hochgehen, mir ein Taxi rufen lassen und aus deinem Leben verschwinden. Verstehst du mich?«
»Ja«, sagte ich. »Ich verstehe. Ich verstehe, daß ich nicht weiß, was Mitleid ist, da ich es für mich nie gespürt habe. Manche der Leute, mit denen ich in meinem Job zu tun habe, bedaure ich. Aber das ist nicht schwer; ich weiß, daß ich sie nie wieder sehen werde. Nein, mir ist es scheißegal, ob du ein schlimmes Bein hast oder zwei oder drei. Als ich dich im Februar traf, da wußte ich, und ich weiß immer noch.«
»Weißt was?«
»Ich möchte es noch nicht sagen, Lorna. Es ist zu früh.«
»Gut. Umarmst du mich, bitte?«
Ich rutschte zu ihr rüber, und wir umarmten uns ganz ungeschickt. Sie faßte mich um die Taille und rieb
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