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Heimliche Wuensche

Titel: Heimliche Wuensche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jude Deveraux
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mit beschwörender Stimme.
    Irgendein Instinkt sagte ihr, daß sie nun um keinen Preis die Kirche verlassen sollten. Sie hielt seine Hände fester und antwortete im Ton einer Mutter, die ein unartiges Kind zurechtweist: »Wir müssen bleiben.«
    Jace bewegte sich nicht, blieb stehen, wo er war, und
    Nellie versuchte die Ursache seiner plötzlichen Unruhe zu ergründen. Der Chor stimmte nun die Hymne »Was betrübst du dich, meine Seele?« an, und bei den ersten Tönen spürte sie, wie Jace’ Hand in der ihren zu zittern begann.
    Der Chor hatte erst eine halbe Strophe gesungen, als Jace Nellies Hand fahren ließ und in die Mitte des Ganges zwischen den Bänken trat. Nellie sah, wie er die Augen schloß und in den Gesang des Chores einstimmte. Er hatte eine schöne, volle Tenorstimme, und die Reinheit und Perfektion seines Gesanges zeugte von jahrelanger Übung. Nach und nach hörten die Mitglieder des Chores zu singen auf und hörten ihm zu.
    Jace hörte nicht die Worte, die er sang — er fühlte sie.
    Das letztemal hatte er dieses Lied bei Julies Beerdigung gesungen. Er hatte an ihrem Grab gestanden, barhäuptig, mit trockenen Augen, in der beißenden Kälte eines Februartages in Maine, und hatte nichts dabei empfunden. Er hatte weder die Kälte noch seine tiefe Trauer gespürt. Er hatte sich vorgestellt, wie seine hübsche kleine Frau in ihrem Sarg lag, ihren kleinen Sohn in den Armen, und er hatte nichts dabei gefühlt.
    Er hatte dieses Lied gesungen, und während die anderen weinten, hatte er nicht eine Träne vergossen. Vier Jahre lang hatte er nichts empfunden, hatte er sich bewegt, gegessen, geschlafen; aber nichts gespürt. Vier Jahre lang hatte er weder gelacht noch geweint oder sich auch nur geärgert.
    Während er nun die alte, getragene Hymne vortrug, erinnerte er sich an Julie, erinnerte sich an ihr Lachen, an ihr schmerzensreiches Ringen, ihren Sohn auf die Welt zu bringen.
    Es war Zeit, dieser Frau Lebewohl zu sagen, die er so sehr geliebt hatte. Endlich, endlich kamen ihm die Tränen. Lebe wohl, meine Julie, dachte er. Lebe wohl.
    Als Jace die Hymne zu Ende gesungen hatte, war es ganz still in der Kirche. Nicht einer wagte laut zu atmen, und es gab kein trockenes Auge im Kirchenschiff. Sie hatten alle die Ergriffenheit gespürt, mit der Jace die Hymne sang, und diese hatte sich auf die Zuhörer übertragen.
    Endlich schneuzte sich jemand im Chor, und der Bann war gebrochen.
    »Sir«, sagte der Chorleiter, »wir möchten Sie gern als Solist in unserem Chor haben. Wir würden . . .«
    Nellie eilte nach vorn. »Darüber reden wir später«, sagte sie im energischen Ton und schob Jace fast mit Gewalt durch die offenen Türen ins Freie. Draußen lehnte Jace sich gegen die Außenmauer, und Nellie nahm ein Taschentuch aus seiner Tasche (ihres war schmutzig) und reichte es ihm.
    Jace schneuzte sich laut und blickte Nellie dann mit einem schwachen Lächeln an. »Nicht gerade die richtige Art für einen Mann, sich vor seinem Mädchen zu benehmen, nicht wahr?« murmelte er.
    Seine Worte brachten Nellies Herz zum Flattern; aber sie riß sich zusammen. »Deine Frau?«
    Er nickte. »Ich sang dieses Lied bei ihrer Beerdigung.«
    »Du hast sie sehr geliebt?«
    Er fand jetzt langsam seine Fassung wieder und erkannte, daß Julies Bild zum erstenmal seit ihrem Tod ihm nicht mehr so deutlich vor Augen stand. Er blickte Nellie an, und es waren ihre und nicht Julies Züge, die er nun vor sich sah. »Ich liebte sie«, sagte er, die Vergangenheitsform betonend, »ja, das tat ich.« Er legte die Hand wieder an Nellies Wange. »Darf ich Sie jetzt nach Hause begleiten, Miss Grayson?«
    »Nach Hause?« wiederholte sie, als habe sie diese zwei Worte noch nie gehört. Dann, als würde ein Eimer Wasser über ein Feuer gegossen, fand sie jählings in die Wirklichkeit zurück. »Wieviel Uhr ist es? Oh, sagen Sie es mir nicht. Vater wird außer sich sein. Sie werden ihr Dinner nicht serviert bekommen. Oh, nein, was habe ich nur getan?«
    »Etwas für Sie selbst, zur Abwechslung«, erwiderte Jace; aber Nellie rannte bereits nach Westen auf ihr Haus zu. Er rannte ihr nach.
    Während Nellie und Jace im Park weilten, betrat Terel die Praxis von Dr. Westfield. Sie war wunderschön angezogen, trug ein pflaumenfarbiges Kostüm, dessen hauteng sitzendes Jackett mit einem Besatz aus schwarzen Litzen versehen war, die ein kunstvolles Muster zeigten.
    Die einzige andere Person im Wartezimmer war Mary Alice Pendergast, eine scharfnasige junge

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