Heimstrasse 52
Schule hat sie keinerlei Probleme, und beim Aufsatz oder Diktat hat sie immer eine Zwei, und grundsätzlich glaubt sie genauso gut Deutsch zu können wie die Kinder, die es auch zu Hause sprechen. Sie hat nicht einmal einen Akzent, wie Ceyda ihn hat.
Doch wenn sie bei Gesine ist, lernt sie Worte wie Suppenkelle, Kehrblech, Feudel, Bücherbord, Nudelholz.
An dem Tag, als Ceren das Wort Abendbrot gelernt hat, sitzt sie noch auf den Stufen vor ihrer Haustür, sieht in die untergehende Sonne und versucht zu verstehen, warum da nur ein Buchstabe Unterschied ist zwischen Abendbrot und Abendrot, Abendrot, das die Straße gerade in ein Licht taucht, das noch weicher wirkt, weil es nicht von Gehwegplatten und Asphalt reflektiert wird.
Ceren denkt an das Sommerhaus ihres Opas, auf dessen Stufen sie gesessen hat, und daran, wie sie als kleines Kind dachte, die Straße ihres Opas und die Heimstraße müssten nah beieinander liegen, weil beide nicht asphaltiert waren.
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– Was ist das alles, fragt Fuat, wie soll ich das denn ins Auto bekommen? Kaum fassbar, was hast du alles eingekauft, wir fahren doch nicht in ein Notstandsgebiet. Als würde es nicht reichen, dass du so dick bist, jetzt soll ich den Wagen auch noch mit allem beladen, was die deutsche Warenwelt so hergibt. Da setzt das Auto unten auf. Was ist denn das alles hier, was ist in diesen Koffern hier? Ein wenig Kleidung zum Wechseln würde es auch tun, oder?
Gül sagt nichts, sie steht im Schlafzimmer zwischen Koffern und Taschen und fragt sich, wo ihr Mann die letzten Wochen war. Er müsste die Urlaubsvorbereitungen mitbekommen haben, seit über einem Monat kauft sie nun schon ein und füllt Tasche um Tasche.
– Jedes Jahr dasselbe, sagt er, was ist da drin? Was? Ich habe dir eine Frage gestellt.
|123| – Geschenke, sagt Gül.
– Für wen?
– Für deine Eltern, für meine Eltern, für unsere Nichten und Neffen, für deine Brüder, für meine Schwestern, für alle.
– Und würde es nicht reichen, wenn du jedem nur eine Kleinigkeit mitbringst, muss es gleich – er zerrt den Reißverschluss auf –, muss es gleich ein Toaster sein? Kann man das Brot nicht am Feuer rösten oder auf dem Gasherd, braucht irgendjemand dort wirklich einen Toaster? Also ehrlich. Und was ist das hier? Nutella?
– Die Kinder essen das gerne.
– Fünf Gläser? Ah, sechs. Was ist mit der guten alten Rosenmarmelade deiner Mutter, ist die nicht mehr gut genug? Und hier: Maggi. Wofür brauchen wir Maggi?
– Das gibt es in der Türkei nicht. Deswegen sind wir doch hergekommen, oder? Weil es hier Arbeit gibt und Geld und Möglichkeiten. Und warum sollten wir die Möglichkeiten nicht nutzen?
– So ein Auto ist auch nichts anders als ein Esel, weißt du, irgendwann bricht es unter der Last zusammen.
– Als du den Mercedes gekauft hast, hast du noch getönt, was für ein tolles Auto das ist. Nicht so eine Karre wie das vorher, sondern richtige Qualitätsarbeit, wie es sie in der Türkei nicht gibt. Und wie viel PS es hat und wie gut es auf der Straße liegt. Und jetzt willst du mir weismachen, das Auto würde wegen drei Gläsern Nutella zusammenbrechen? Willst du damit etwa sagen, dass der Mercedes sein Geld nicht wert war?
– Sei still und quatsch nicht, als wärst du ’ne ausgebildete Mechanikerin. Wenn die Achse bricht, dann will ich dich mal sehen, wie du den Wagen mit deinem Weibergewäsch reparierst.
– Ich mische mich nicht in deine Autoangelegenheiten ein, oder? Und das hier, das gehört zum Haushalt, das ist mein |124| Bereich, und wir werden diese Taschen und Koffer mitnehmen, wofür sonst haben wir einen Dachgepäckträger? Du hättest mal vorher einen Blick drauf werfen sollen und nicht erst zwei Tage vor unserer Abreise. Ich kann nun nichts mehr auspacken, ohne dass sich irgendjemand benachteiligt fühlt.
– Im Flugzeug hättest du das alles nicht mitnehmen können. Ich habe ein Auto gekauft, damit die Dinge einfacher werden, aber mit Frauen ist nie irgendetwas einfach. Weibervolk, sagt Fuat, Weibervolk, nichts als Ballast. Sogar auf den eigenen Hüften.
Zwei Tage später haben die Eheleute noch immer kein freundliches Wort miteinander gewechselt, aber der Wagen ist vollgepackt, Ceyda und Ceren sitzen verschlafen auf dem Rücksitz, der Morgen dämmert, Fuat sitzt am Steuer und raucht, während sie auf Saniye und Yılmaz warten.
– Weibervolk, sagt Fuat wieder, Yılmaz allein wäre pünktlich, aber er muss noch auf seine Frau warten.
Das ganze
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