Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod
Wahrscheinlich bist du schon vierundzwanzig Stunden am Stück auf den Beinen, oder täusche ich mich?«
»Ach, das ist nicht so wild«, winkte Sgubin ab, »noch eine Schicht und ich habe den Wochendienst hinter mir. Dann habe ich vier Tage frei und kann ausschlafen und baden gehen. Fünfunddreißig Stunden sind schließlich nicht die Hölle.« Er stand auf und gab Laurenti zum Abschied die Hand. Laurenti lächelte. Sgubin überraschte ihn immer wieder, ein Polizist, dem sein Dienst Spaß machte, der sich grundsätzlich sehr bemühte, freundlich und korrekt war, und sich nicht wie viele seiner Kollegen beklagte, wenn seine Schicht nicht pünktlich zu Ende ging. Und dennoch war Sgubin kein Streber oder Kriecher, die Sorte, die Laurenti nicht ausstehen konnte und daraus auch nie einen Hehl gemacht hatte.
Laurenti beschloß, selbst im Hause des Österreichers vorbeizugehen, so wie Sgubin es vorgeschlagen hatte. Er war neugierig, die schöne Frau Drakic und ihre Freundinnen kennenzulernen, und außerdem wollte er sehen, wie sein ehemaliger Gegenspieler Kopfersberg heute lebte.
10.30 Uhr- Via dei Porta
»Viktor?«
»Ja! Ah, Tatja, was gibt’s? Schon wach?«
»Es ist irgend etwas mit Bruno passiert. Die Polizei war gerade hier. Bruno ist heute nacht nicht zurückgekommen, und sie haben die ›Elisa‹ vor Santa Croce gefunden. Ohne ihn. Auf die Küste aufgelaufen. Weißt du was davon?«
Es blieb einen Moment still in der Leitung, dann sagte die Männerstimme: »Nein. Was ist passiert? Wann war das?«
»Was meinst du? Der Polizist ist eben gegangen«, Tatjanas Stimme klang aufgeregt.
»Wann wurde die ›Elisa‹ gefunden?«
»Heute nacht, angeblich von einem Fischer. Der Polizist hat mich alles mögliche gefragt. Wo das Büro ist, wohin Bruno fahren wollte, ob er schon öfters länger als angekündigt weggeblieben ist. Er hat meine Personalien aufgenommen, ich mußte meinen Ausweis holen. Dann habe ich ihn rausgeworfen.«
»Und die Mädchen?« Die Männerstimme klang besorgt.
»Was ist mit denen?«
»Hat er nach ihnen gefragt?«
»Nein. Er hat nichts gemerkt, ausgeschlossen. Zwei waren auf dem Flur, als er kam, das war alles. Er hat weder komisch geschaut noch Fragen gestellt.«
»Was war es für einer?«
»Uniform, nichts Besonderes.«
»Na gut, aber was ist mit Bruno? Hast du wirklich nichts gehört?«
»Nein. Es ist seltsam, der Idiot hat sich seit zwei Tagen nicht gemeldet.«
»Du kennst ihn doch, Tat ja! Was regst du dich darüber auf? Ich ruf mal durch, wo er zuletzt war. Ist vielleicht alles nur ein Zufall …«
»Wir müssen überlegen, wie wir uns verhalten. Wenn er nicht bald auftaucht, werden die noch mehr Fragen stellen. Kommst du vorbei?«
»In einer Stunde, Tatja«, sagte Viktor. »Übrigens, Wien lief gut. Wir haben den Auftrag. Jetzt läuft die ganze Türkeihilfe über uns. Wolferer war zahm wie ein Lamm.«
»Wer?«
»Wolferer. Der Chef der Behörde. Muckte nur am Anfang ein bißchen auf. Er kommt auch zur Party. Dann haben wir ihn endgültig. Du mußt dir was Besonderes einfallen lassen.«
»Kein Problem, Viktor. Und ruf mich an, wenn du was von Bruno hörst.«
»Mach ich, bis später.« Drakic legte auf.
12.55 Uhr
Kurz vor 13 Uhr verließ Proteo Laurenti das Kommissariat. Er trat aus dem Schatten und den dunklen Fluren des Gebäudes mit den stumpfen Steinböden hinaus in die gleißende Mittagssonne. Es waren fünfunddreißig Grad im Schatten, und die Hitze traf ihn wegen der hohen Luftfeuchtigkeit wie ein dumpfer Schlag. Dennoch entschied sich Laurenti gegen den Wagen. Er ließ ihn meistens stehen, wenn er im Zentrum zu tun hatte. Die ewige Parkplatzsuche kostete unnötig Zeit und die fast überall fällige Parkgebühr war ihm lästig. Er ging lieber zu Fuß, dann wußte er, daß er pünktlich ankam. Andere fuhren mit dem Motorroller, was noch schneller war. Doch noch ein weiteres Fahrzeug und noch ein Schlüssel mehr hätten ihn restlos überfordert. Er vergaß schon jetzt oft genug, wo er den Wagen geparkt hatte, und hatte er ihn endlich gefunden, stand er häufig ohne Schlüssel davor. Außerdem regte er sich ständig über die Zweiräder auf, wenn sie sich an den Ampeln in Horden links und rechts an ihm vorbei nach vorne drängten. Die Stadt war voll von diesen Dingern, und es wurden ständig mehr. Widerlich! Gelegentlich kam es sogar vor, daß sich die Fahrer an seinem Auto abstützten. Reiner Anarchismus. Bereits Vierzehnjährige schossen wie geschulte Kamikaze-Piloten
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