Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod
– so freundlich, wie er nach dem Telefonat mit Laura eben sein konnte. Er war froh, daß ihn niemand auf seine Tochter Livia ansprach. Er hatte das Gefühl, die ganze Stadt wisse von ihrem Vorhaben und zeige mit Fingern auf ihn. Dabei war es doch nur eine Zeile in der Mitte eines langen Artikels, in der ihr Name neben neunundvierzig anderen zu finden war. Wer las das schon? Aber er hatte es ja schließlich auch gesehen, auf den ersten Blick …
Endlich traf Ettore Orlando ein. »Tut mir leid, Proteo, du weißt ja, wie es manchmal zugeht!« Er goß sich von dem Wasser ein und leerte das Glas in einem Zug. Auch Orlandos Hemd war von großen Schweißflecken gezeichnet. Ein Bär wie er mußte bei solchen Temperaturen noch mehr leiden.
»War was los?« fragte Laurenti. In Triest kommt man pünktlich zu Verabredungen, meist auf die Minute – und wenn der Capitano der Küstenwache zu spät kommt, muß was passiert sein.
»Wir mußten wieder einmal einen Frachter an die Kette legen. Wie damals die ›Captain Smirnow‹. Erinnerst du dich? Hoffen wir, daß es diesmal nicht so lange dauert.«
»Was für eine Flagge?«
»Ein Ukrainer.«
Laurenti erinnerte sich gut an die drei Schiffe, die von 1995 bis 1998 vor der Stadt festsaßen und sich an ihren Ankerketten nach der Strömung oder dem Wind richteten. Neben der »Captain Smirnow« waren es noch zwei weitere russische Frachter gewesen, die »Katija« und die »Ingenieur Yermoskin«, deren Eigner die Reparaturrechnungen nicht mehr bezahlen konnten, so daß die Schiffe beschlagnahmt wurden. Man hatte sie zuerst vor der Werft und später eine viertel Seemeile vor der Riva Traiana verankert. Drei Jahre lang lagen die Schiffe dort, mit ihren Besatzungen, die kein Geld für die Heimreise und kein Visum für den Landgang hatten. Jeder in Triest erinnerte sich an das Bild dieser vor sich hin rostenden Kolosse, die so einsam und traurig anmuteten. Als der letzte Treibstoff zu Ende ging und damit auch keine Generatoren für Elektrizität oder Heizung mehr betrieben werden konnten, gab es immer wieder Sammlungen in der Stadt, um die Seeleute in ihrem unfreiwilligen Gefängnis mit dem Nötigsten zu versorgen. Niemand löste sie aus. Erst im Sommer 1998 änderte sich die Situation. Amerikanische Unternehmen, die eng mit der US Navy zusammenarbeiteten, kauften die Schiffe und setzten sie, in Vorbereitung des Krieges im Kosovo und in Mazedonien, zum Transport von Waffen und Panzern zwischen den Vereinigten Staaten und Griechenland ein. Zwei von ihnen fuhren unter der Flagge von Grenada. Die »Captain Smirnow« hatte Pech. Sie wurde nach Fiume beordert und erneut ins Reparaturdock gebracht. Dort lag sie wieder fest, weil nun die Amerikaner die Begleichung der Rechnungen schuldig blieben, und die Matrosen warteten vergeblich auf die versprochene Heuer in Dollar. Nichts geschah. Die Besatzung befand sich im fünften Jahr der Gefangenschaft, und das Schiff verrottete immer mehr. Forderungen der Werften und vieler Handwerker, insgesamt mehr als fünfzig Millionen Dollar, blieben unbezahlt.
»Es gibt Neuigkeiten zu Kopfersberg«, begann Ettore. »Wir haben festgestellt, daß auf 44°32’05“ nördlicher Breite und auf 12°43’20“ östlicher Länge der Autopilot angestellt wurde. Ab dort zeichnete der Computer die Fahrt auf, die mit konstant niedriger Geschwindigkeit von zehn Knoten vonstatten ging, bis die Yacht nach sechs Stunden und dreiundvierzig Minuten vor Santa Croce in die Muschelzucht fuhr. Sie hatte knapp 70 Seemeilen zurückgelegt.«
Laurenti hatte ihm neugierig zugehört, konnte sich aber unter diesen Angaben nichts Rechtes vorstellen. Doch der Capitano war nicht zu bremsen.
»Er hat vor der Abfahrt Treibstoff gefaßt, das haben wir bereits erfahren. Im Tank fehlten sechzehnhundertvier Liter Diesel, viertausend passen rein. Bei der geringen Fahrt braucht die Ferretti nicht so wahnsinnig viel, sagen wir mal, mit vierhundert Litern wäre sie ausgekommen. Es bleibt also eine ungeklärte Differenz von zwölfhundert Litern Diesel, mit denen man bei ökonomischer Fahrweise, also mittlerer Geschwindigkeit, eine schöne Reise machen kann. So zweihundert Seemeilen sind drin oder, für Landratten wie dich, etwa dreihundertundsiebzig Kilometer. Jetzt brauchst du nur einen Zirkel zu nehmen, ihn auf der Karte dort einzustechen, wo der Autopilot eingeschaltet wurde, und dann innerhalb dieses Kreises zu suchen. Falls er nicht unterwegs gebunkert hat.«
Orlando hatte sich zwei
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