Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod
Schönes Hemd übrigens, neu?«
Dieser Notkauf war offenbar ein großer Treffer.
»Danke«, sagte Laurenti, und daß er selbst noch nicht viel wisse über den Verbleib von Kopfersberg, daß man aber ein Gewaltverbrechen nicht ausschließen könne. »Aber warum interessieren Sie sich dafür?« fragte er.
»Das ist eine berechtigte Frage, die mich seit dem Mittagessen beschäftigt«, räumte der Questore ein. »Da fragte mich nämlich der Präsident der Schiffahrtsvereinigung, ob man schon etwas wisse von de Kopfersberg. Ich wußte natürlich wieder einmal von nichts und mußte mir alles erklären lassen. Er hat den Mann gekannt.«
»Eigenartig«, Laurenti war erstaunt, »wir hatten bis zur Mittagszeit noch keine Meldung nach draußen gegeben. Lediglich die Lebensgefährtin des Österreichers wurde durch eine Streife informiert. Sie war ziemlich unfreundlich zu den Beamten. Es ist anzunehmen, daß sie nachher seine Mitarbeiter im Büro informiert hat.«
»Na ja, vielleicht hat er es von dort«, meinte der Questore und geleitete Laurenti zur Tür.
»Was hat er gesagt?« Der Commissario war stehen geblieben. »Daß er ihn kennt oder gekannt habe ?« Er schaute den Questore an.
»Er sagte«, antwortete dieser, »gekannt habe. Da bin ich mir sicher.«
»Schau an«, sagte Laurenti. »Das wissen noch nicht einmal wir, und den Verdacht, daß etwas Ernstes passiert sein könnte, habe ich ebenfalls erst seit Mittag. Ich werde einmal mit dem Präsidenten der Schiffahrtsvereinigung über seine Quellen sprechen müssen.«
»Ich bitte Sie, Laurenti! Was wollen Sie ihn fragen?« Der Questore kniff die Augen zusammen. »Vielleicht hat er einfach nur das Schlimmste angenommen? Nein, Laurenti, bitte nicht! Sie sind zu spitzfindig.«
Um 19.30 Uhr kam Laurenti endlich wieder in sein Büro. Die Nadel in seinem Hemd hatte er auf der Toilette der Questura entfernt, nachdem die Besprechung mit dem Chef zu Ende war. Er wurde zu Hause erwartet und war schon spät dran, doch wollte er den Tag noch rasch stichwortartig zusammenfassen. Der nächste ließe sich so leichter beginnen. Außerdem sah er die Auseinandersetzung im Familienrat am Abend vor sich, auf die er keine Lust hatte. Und er war müde. Immerhin war er seit halb vier Uhr morgens wach, hatte die Nacht zuvor kaum geschlafen, und die Hitze tat ihr übriges. In den letzten Wochen war er nie nach 18 Uhr aus dem Büro gekommen, es war ruhig in der Stadt.
Laurenti griff zum Telefon und wählte die Nummer in der Via Diaz. Es läutete lange, und als er schon auflegen wollte, meldete sich sein Sohn. Proteo hörte gut gelaunte Frauenstimmen im Hintergrund.
»Marco? Wie geht es dir?«
»Alles prima, Papà. Wir warten auf dich!«
»Gib mir bitte mal deine Mutter, Marco!«
Proteo hörte, wie der Hörer auf den Tisch gelegt wurde und Marco laut nach seiner Mutter rief. Wenig später nahm sie den Hörer auf.
»Rossana ist bereits hier«, sagte Laura fröhlich, »wir sitzen beim Aperitif und erwarten dich!«
»Ich war bis jetzt beim Questore, es wird später. Bin völlig verschwitzt und gehe noch schnell eine Runde schwimmen. Wo wollt ihr hin?«
»Wir haben bei Franco reserviert. Am Leuchtturm, um halb neun«, Laura schien nicht sonderlich erfreut zu sein. »Warum kommst du jetzt nicht einfach nach Hause, duschst dich und dann gehen wir alle zusammen?«
»Weil es bis jetzt kein Tag der Freude war«, antwortete Proteo, »ich komme nach.«
Er hörte, wie sich Gewitterwolken in ihre Stimme schoben.
»Sei nicht albern! Komm jetzt und mach dich frisch. Und laß uns nicht länger warten.«
»Nein. Ein Sprung ins Wasser ist zwar nur ein kleines Glück, aber immerhin ist es eines. Und wahrscheinlich mein einziges an diesem gottverfluchten Tag, an dem offenbar alle nur ein Ziel haben: mir kräftig auf den Sack zu gehen. Ich komme in einer Stunde nach.« Er legte auf.
Proteo wußte, daß seine Frau wie so häufig recht hatte. Aber er mußte zumindest eine halbe Stunde entspannen, sich erfrischen und seine alte Gelassenheit wiederfinden. Außerdem ging ihm nicht aus dem Kopf, was der Questore zum Schluß gesagt hatte. Laurenti wollte Überblick. Er sprach das Wort laut und lang gedehnt aus, während er an seinen Schrank ging und die kleine Tasche herausnahm, in der er immer einen Satz frischer Kleider zum Wechseln aufbewahrte. Er würde jetzt endlich daran denken müssen, weiße Hemden zu tragen. Er knallte zuerst die Schranktür und danach die Bürotür mit aller Wucht zu,
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