Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod
worüber er plötzlich lachen mußte. Dann ging er pfeifend die Treppen hinunter zu seinem Wagen. Seit er am Vormittag aus dem Haus gegangen war, befand sich auch seine Badetasche wieder im Auto. Proteo fuhr stadtauswärts, dieselbe Strecke wie am frühen Morgen. Er wollte nochmals dahin, wo die Yacht gefunden worden war, dort könnte er sein Bad nehmen und in aller Ruhe nachdenken. Um diese Zeit würde kein Mensch mehr dort sein.
Doch Laurenti hatte sich getäuscht. Er stieg die Treppen von der Strada Costiera hinunter, ein schmutziges Triestiner Volkslied vor sich hin singend, das sein Sohn gegen Lauras vehementen und seinen zurückhaltenden Protest vor einigen Monaten zum Abendessen der ganzen Familie präsentiert hatte und dessen Refrain wie ein Ohrwurm seither nicht wieder aus seinem Gedächtnis verschwinden wollte. Als er einen Weg über die Felsen suchte, befand er sich plötzlich vor einem jüngeren Paar, das ihn erstaunt anschaute. Laurenti verstummte schlagartig. Er wußte, daß er nicht gut singen konnte – und dann noch dieser Refrain, in dem es sich die Beteiligten auf alle möglichen Arten und Weisen kräftig besorgten. Er mußte an den beiden vorbei, die wieder aufs Meer blickten. Ihren Handbewegungen entnahm er, daß sie über die herumliegenden Fässer der ruinierten Muschelzucht redeten. Ihre Sprache verstand er nicht, sie hörte sich slawisch an, doch als er höflich »buonasera« sagte, grüßten sie italienisch zurück. Proteo ging noch ein Stück weiter, legte seine Tasche ab, zog sich unter seinem Badetuch um, ging ins Wasser, das gut und gern vierundzwanzig Grad warm war, und schwamm mit kräftigen Zügen weit hinaus. Endlich Bewegung, Wohlbefinden. Als er nach einer Viertelstunde an Land zurückkehrte, war der Strand menschenleer. Auch die beiden Ausländer waren gegangen.
Laurenti legte sich auf die Steine, schob die Badetasche unter den Kopf und schloß die Augen.
Aus der Ferne hörte er ein paar Möwen krächzen, die sich auf den Weg hinaus aufs offene Meer machten, wo die ersten Fischkutter ihre Netze ausgelegt hatten und die Scheinwerfer ausrichteten, deren Lichter später, wenn es dunkel war, die Fische anlocken sollten. Das Salzwasser auf Laurentis Haut trocknete langsam, und er atmete tief den Geruch der Macchia und der See ein. Er erinnerte sich plötzlich an die Abende, als Laura und er oft nach Einbruch der Dunkelheit schwimmen gegangen waren, an einsame Strände, wo sie nicht gestört wurden und sich oft die ganze Nacht hindurch geliebt hatten. Sie konnten einfach nicht voneinander lassen, und im warmen Wasser taten sie es besonders gern. Das war lange her. Laura war noch immer die Frau, die er begehrte. Gern wäre er jetzt alleine mit ihr hier gewesen, hätte ihr gerne dabei zugeschaut, wie sie sich auszog, er hätte sie umarmt und geküßt und seine Hände über ihren Körper gleiten lassen, bis sie sich irgendwann von ihm befreit hätte und lachend ins Wasser gerannt wäre. Und er wäre hinter ihr hergelaufen, hätte sie schnell eingeholt, sie wären ein paar Züge hinausgeschwommen, bis zu einem Felsbrocken, der unter der Wasseroberfläche lag. Sie hätte ihre Arme um ihn geschlungen, sie hätten sich lange geküßt. Wie sehr er sich danach sehnte.
Es war längst dunkel, als er aufwachte, und er brauchte einige Minuten, um zu begreifen, wo er war. Sein Mund war trocken und rauh wie Sandpapier. Durst! Er schaute auf die Uhr, es war zwanzig vor zehn. Verdammt! Proteo Laurenti war eingeschlafen. Die Familie, das Abendessen, der große Krach. Er suchte in seiner Badetasche nach dem Mobiltelefon, fand es aber nicht. Er hatte es in seinem Wagen vergessen. Hastig zog er sich an und machte sich an den Aufstieg. Er fluchte. Die Stimmung im Hause Laurenti würde furchtbar sein. Aber immerhin hatte er eineinhalb Stunden ruhig geschlafen. Und er hatte wunderbar geträumt.
Punkt 22.20 Uhr stellte er endlich seinen Wagen vor der »Trattoria al Faro« ab. Sein Mobiltelefon hatte er erst gar nicht mehr eingeschaltet. Er wollte seine Verspätung lieber persönlich erklären. Nachdem er den schmalen Weg zur Trattoria mit dem weiten Ausblick auf die Stadt und den Golf von Triest hinaufgegangen war, kam ihm Franco entgegen, der Wirt, der an manchen Tagen leicht hinkte, und machte, als er Proteo begrüßte, eine wedelnde Bewegung mit seiner linken Hand, als hätte er sie sich verbrüht. Alle Zeichen standen schlecht.
»Du wirst schon sehnsüchtig erwartet! Ich weiß nicht, ob du den Abend
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