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Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod

Titel: Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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sein.«
    Und Laura setzte nach. »Dieser Macho aus dem Süden glaubt offensichtlich immer noch, daß schöne Frauen nichts anderes zu bieten haben als ihre Schönheit! Schau Rossana und mich an, eine von uns hast du sogar deswegen einmal hofiert, später verführt, danach geheiratet und geschwängert. Dreimal gleich, und wenn ich nicht irgendwann einmal etwas unternommen hätte, dann hättest du heute noch mehr Töchter, die sich an den Miss-Wahlen beteiligen würden.«
    Proteo warf einen kurzen Blick zu Rossana, die ins Weite blickte.
    »Oder Söhne«, sagte Proteo.
    »Von mir auch aus Söhne, was soll’s«, räumte Laura ein.
    Franco brachte die Spaghetti. »Henkersmahlzeit«, sagte er. Proteo machte sich über sie her. Er hatte trotz des Streits guten Appetit.
    »Wenn ich mir vorstelle«, sagte Laura zu Rossana, »worüber dieser Mann hier sich beschwert, dann könnte ich heulen. Er sitzt mit zwei herausragenden Vertreterinnen ihres Geschlechts am Tisch …«
    »… auch wenn sie sich daran erinnern können, daß sie einmal weniger Falten hatten …«, fügte Rossana ein.
    »… die nur mit dem kleinen Finger zu schnippen bräuchten, und schon lägen ihnen alle Männer zu Füßen, die hier rumsitzen.«
    »Und nicht nur die«, ergänzte Rossana wieder.
    »Nein, nicht nur die«, stimmte Laura zu.
    »Na, dann geht doch zu ihnen«, sagte er mit vollem Mund, »oder bewerbt euch als Missis Triest. Wettbewerb der geifernden Weiber!«
    »Eigentlich eine gute Idee«, kicherte Rossana, aber Laura meinte, man konkurriere doch nicht mit der eigenen Tochter.
    Irgendwann kam Proteos Hauptgang und irgendwann sein Dessert, und zwischendurch kam ziemlich viel Wein und, als die meisten anderen Gäste schon gegangen waren, wie üblich der gute Franco mit der eisgekühlten Wodkaflasche. Die Stadt lag mit ihrem Lichtergefunkel unter ihnen, die Luft war angenehm frisch, und auf dem Golf sah man die Beleuchtung der Fischkutter und dreier vor Anker liegender Frachtschiffe. Auch der Nachthimmel geizte nicht mit Lichtern. Und irgendwann brachen sie auf.
    In dieser Nacht schliefen alle gut. Die Rauchschwaden über dem Familienvulkan hatten sich verzogen, die Eruption war harmlos geblieben, und die Stimmung kippte in Fröhlichkeit um. Alle hatten genug getrunken. Die Ventilatoren im Hof störten in dieser Nacht nicht.

Triest, 18. Juli 1999, 1.10 Uhr,
    Stadtteil San Giacomo
    Die Via Ponzanino gehört sowenig zu den Schmuckstellen der Stadt wie der gesamte Bezirk San Giacomo. Es war ein durch und durch proletarisches Viertel, mit schlichten, aber hohen Häusern aus dem ausgehenden neunzehnten Jahrhundert, die Italo Svevo im »Zeno Cosini«
    »Spekulationshäuser« genannt hatte. »Alle Vorstädte sind voll von ihnen. Das Haus sah bescheiden aus, aber immerhin stattlicher als jene, die man heutzutage aus denselben Motiven baut. Nur wenig Raum war für die Treppe übrig geblieben, die steil anstieg.«
    Das Viertel war spätabends wenig belebt, die meisten Bars schlossen lange vor Mitternacht. Die Busse, die vom Campo San Giacomo über die Via dell’Istria die Außenbezirke ansteuerten oder von dort kamen, fuhren zu dieser Zeit nur in großen Abständen. Der letzte Bus hielt an der Kirche San Giacomo um ein Uhr.
    Die junge Frau, die mit sieben anderen Fahrgästen aus dem Bus stieg, war hübsch, auch wenn sie sich so auffallend angezogen und geschminkt hatte, daß sie vulgär wirkte. Die langen blonden Haare, die ihr weit über die Schultern reichten, trug sie offen, ein sehr knapper, silbern schimmernder Rock ließen ihre Beine noch länger wirken, als sie waren. Sie trug ein tief ausgeschnittenes Top, das ganz sicher jeden männlichen Blick anzog. Ihre Brüste wogten bei jedem ihrer Schritte, das Getacker der Absätze wurde von den Hauswänden zurückgeworfen.
    Sie überquerte die Via dell’Istria, ging in die Via del Pozzo hinein und bog an ihrem Ende in die menschenleere und dunkle Via Ponzanino. Vor dem Haus Nr. 46 suchte sie einen Schlüssel in der kleinen, schwarz glänzenden Handtasche und wollte ihn soeben ins Schloß stecken, als jemand hinter ihr seine Hand auf ihre Schulter legte. Die junge Frau erstarrte vor Schreck.
    »Guten Abend, Olga«, die Hand blieb so fest auf ihrer Schulter, daß sie sich nicht umzudrehen wagte. Sie fühlte sich eigenartig an. Dann spürte Olga die Kälte von Metall auf ihrem Dekolleté. Sie sah hinunter und sah, daß die Hand, die die Pistole hielt, in einem Gummihandschuh steckte. Auf den Lauf der

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