Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod
zurückfallen. »Aber so eine wie mich findest du nicht so oft. Erste italienische Qualität.«
»Wie läuft’s denn? Hast viel Konkurrenz bekommen!«
»Wem sagst du das! Und die Polizei verjagt auch noch die Freier. Beschissen also. Kannst du deine Leute nicht zurückpfeifen? Man steht sich die Beine in den Bauch, statt sie breitzumachen.«
»Wir müssen, Lilli! Haben gewaltig Druck bekommen. Kennst du die anderen?«
»Kaum, deswegen stehe ich ja hier, da vorne ist die Konkurrenz zu groß. Die kommen und gehen, bleiben nicht sehr lange. Tage oder Wochen. Kein Traditionsbewußtsein. Kaum eine bleibt hier. Wozu auch – anderswo läuft’s besser.«
»Irgend etwas Verdächtiges gesehen?«
»Ich petze nicht, Laurenti. Hast du das vergessen? Aber es gibt auch nichts zu petzen. Es ist härter geworden, die jungen Ausländerinnen schnappen mir die Kunden weg. Der Einzelhandel geht zugrunde, die Massenware nimmt zu.«
»Es wird doch sowieso Zeit, daß du deinen Laden schließt, Lilli. Hast du nicht genug auf die Seite gelegt, um ein schönes Alter zu genießen?«
Lilli hatte einen Zuhälter gehabt, bis sie dreißig war. Ein kleiner Ganove, der manchmal ein paar Einbrüche machte. Er lebte mit Lilli zusammen, bis er irgendwann im Gefängnis landete und sich danach nicht mehr blicken ließ. Ab der Zeit hatte sie ihr Geld nur noch für sich verdient.
»Du tickst wohl nicht richtig! Ich habe ein ordentliches Gewerbe, Laurenti, nur diese jungen Dinger sind wirklich beschissen dran. Aber was will man machen. Übrigens bekommen wir Gesellschaft.« Lilli zeigte über seine Schulter.
Vier Streifenwagen hatten die umliegenden Kreuzungen blockiert, und ein Einsatzwagen, den man das mobile Kommissariat nannte, hatte sich in eine der Straßen gestellt.
»Lilli, ich haue ab«, sagte Laurenti, »und du vielleicht auch!«
»Ach was, mir tun sie nichts. Bei mir ist alles in Ordnung, wie du weißt.«
Er klopfte ihr auf die Schulter und machte sich davon. Wenn er sich nicht getäuscht hatte, dann waren auch Vicentino, Greco und Decantro unter den Beamten. Er wollte nicht, daß der Journalist ihn hier sah. Zehn Minuten später war er wieder auf der Party. Niemand unter den vielen Gästen hatte bemerkt, daß er eine halbe Stunde weg war. Auch Laura nicht. Hätte er einen Mord begangen, hätte ihm die ganze Gesellschaft ein Alibi ausgestellt.
Triest, 19. Juli 1999
Schon wieder: Der »Piccolo« meldete auf der Titelseite Haialarm. Laurenti hatte die Zeitung um acht Uhr vom Kiosk geholt und Kaffee sowie eine große Kanne Orangensaft gemacht. Samstags war es seine Sache, das Frühstück zu bereiten. Noch saß er alleine am großen Küchentisch und las die Zeitung.
Ein Blauhai war angeblich an zwei Stellen gesehen worden, man schätzte ihn auf ein besonders großes Exemplar von über vier Metern Länge, selten bei dieser Spezies. Die Guardia Costiera würde also alle Hände voll zu tun haben, denn auf den vierzig Kilometern Küste rund um den Golf von Triest versuchten die ersten Badegäste schon in den frühen Morgenstunden die besten Plätze zu ergattern. Die besten Parkplätze und die besten Badeplätze. Die Alten besiedelten Barcola schon frühmorgens, doch blieb die Mehrzahl der Pensionäre nur bis Mittag und folgte dann den Zeichen, die ihr Magen gab. Dann war Schichtwechsel am Strand. Zu dieser Zeit kamen die Jüngeren nach, die einen besseren Schlaf hatten und auch mehr Grund dafür. Wer mit dem Auto fuhr, statt mit einem Motorroller, hatte nur zu dieser Stunde Aussicht auf einen nahe gelegenen Parkplatz. Bei solchem Wetter, am Wochenende und bei einer Wassertemperatur von fünfundzwanzig Grad, belegten über hunderttausend Menschen die Badeplätze. Und jetzt also Haialarm! Es würde schwer sein, die Menschen vom Meer abzuhalten, die Gluthitze trieb die Leute ins Wasser. Ob es da ausreichte, daß die Küstenwache mit drei Einheiten patrouillierte? Es war Schlimmes zu befürchten, denn im Gegensatz zu früher kamen heute bei jedem ernsthaften Jagdversuch nach dem Tier die »Animalisti« zu Wort. Und anders als in Südafrika, auf Hawaii oder vor anderen Küsten, wo es ein hohes Aufkommen von Haien gab, war man in Triest natürlich nicht mit Unterwasserschallgeräten ausgerüstet, die die Tiere verjagten. Für solche Anschaffungen ließen sie sich hier zu selten blicken. Zuletzt wurden 1996 drei Haie gesichtet, davor ein ernster Alarm im Jahr 1992, und ganz schlimm war es 1987, als sich angeblich dreißig Bestien im Golf
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