Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod
auch nicht aus seiner Rolle heraustreten. Also tat er so, als erzählte er ihr, was ihn beschäftigte.
»Ich auch«, antwortete die Zurbano zu seiner Überraschung, die er sich nicht anmerken ließ. Er mußte gelassen und ruhig bleiben.
»An Bord der ›Elisa‹ hat ein Kampf stattgefunden. Die Spurensicherung und die Ergebnisse der gerichtsmedizinischen Untersuchungen sind eindeutig.« Er blickte noch immer aufs Meer hinaus.
Sie schaute Laurenti überrascht an, aber er reagierte nicht.
»Ist das sicher?« fragte sie mit unruhiger Stimme.
»Ziemlich.« Er machte eine Pause. »Sagen wir neunundneunzig Prozent.«
»Hat man ihn gefunden?«
»Nein. Aber wir gehen davon aus, daß er ziemlich übel zugerichtet wurde. Das war mit Sicherheit kein schöner Tod.« Von seiner anderen Theorie, daß der Österreicher überlebt haben könnte und sich in der Villa aufhielt, sagte er nichts. Er wollte Eva Zurbanos Reaktionen sehen.
Sie saß nicht mehr zurückgelehnt in ihrem Stuhl. Sie hatte sich aufgerichtet und den Blick unverrückbar auf Laurenti gerichtet. Daumen und Zeigefinger ihrer rechten Hand waren weiß, so fest drückte sie sie aneinander. Die Knöchel ihrer Hand hatten dieselbe Farbe angenommen. Der Verlauf der Sehnen auf ihrem Handrücken war genau zu erkennen. Laurenti schaute noch immer aufs Meer hinaus. Nur aus einem äußersten Winkel seines Blickes nahm er sie wahr. Aber es entging ihm keine ihrer Reaktionen. Er begriff, daß Eva Zurbano wirklich in Sorge war.
»Vermutlich hatte man die Absicht, ihn lange leiden zu lassen. Wir gehen davon aus, daß Signor de Kopfersberg einen stundenlangen Todeskampf hatte. Er wurde vermutlich schwer verletzt an das Schlepptau seines Schiffes gebunden und ins Meer geworfen, während das Schiff mit dem Autopiloten nach Hause steuerte.«
Die Farbe war aus Eva Zurbanos gebräuntem Gesicht gewichen.
»Wir gehen davon aus«, phantasierte Laurenti weiter, »daß es die Absicht des Mörders war, daß Signor de Kopfersberg in Triest, seiner Heimatstadt, tot hinter der Yacht aufgefunden werden sollte. Vielleicht ganz langsam verblutet …«
Die Fingernägel von Eva Zurbanos Hand stießen tief in das Fleisch ihrer Handballen. Laurenti blickte unverwandt aufs Meer hinaus. Jetzt machte er eine Pause und nahm einen Schluck von seinem Glas. Die Zurbano versuchte mit zittrigen Fingern eine Zigarette aus der Schachtel zu ziehen. Bisher hatte sie nicht geraucht. Laurenti nahm ihr Feuerzeug und gab ihr Feuer. Eva Zurbano zog zweimal schnell den Rauch ein. Jetzt erst schaute Laurenti sie an.
»Wir nehmen an«, er verschärfte seinen Ton, »daß Signor de Kopfersberg unterwegs von den Fischen gefressen wurde. Das kommt ja leider immer wieder vor.«
Eva Zurbano strich sich mit dem Zeigefinger der linken Hand über die linke Wange, von oberhalb des linken Mundwinkels bis zum äußeren Augenwinkel. Aber sie weinte nicht. Laurenti hatte sich wieder zurückgelehnt und schaute aufs Meer hinaus. Seine Stimme war die ganze Zeit ruhig, gleichförmig monoton geblieben, aber seine Sinne waren zur äußersten Wachsamkeit angespannt. Er war völlig klar, war zu hundert Prozent präsent. In diesen Momenten fühlte er sich am wohlsten und fragte sich dann immer, warum es ihm nicht gelang, über eine solche Klarheit und Konzentriertheit auch sonst zu verfügen. Er schwieg und wartete ab. Auch Eva Zurbano schwieg lange.
»Ich habe befürchtet, daß irgendwann einmal so etwas passiert«, sagte sie dann mit leiser Stimme und schwieg wieder.
»Was?« Der Commissario blieb unbeweglich.
»Das.«
»Und warum?«
»Man spürt das Unglück manchmal nahen.«
»Ich kenne Herrn de Kopfersberg schon lange«, sagte Laurenti jetzt, und Eva Zurbano schaute ihn erstaunt an.
»Das wußte ich nicht!« Ihre Verwunderung schien echt zu sein.
»Ich habe damals ermittelt, als seine Frau verschwand«, sagte Laurenti. »Ich erinnere mich noch ganz gut an alles, doch nicht an Sie. Sie sagten gestern, daß Sie schon fünfundzwanzig Jahre in der TIMOIC sind. Ich dachte, wir hätten damals mit allen gesprochen.«
»Nicht mit mir«, antwortete die Zurbano. »Ich habe mich nach Elisas Tod um Spartaco gekümmert, den Sohn.«
»Auch an den erinnere ich mich, er war noch klein. Übrigens, was für ein Verhältnis hatten Vater und Sohn?«
»Bis vor einem Jahr ein sehr gutes.«
»Und was ist vor einem Jahr passiert?« Laurenti schaute wieder aufs Meer hinaus.
»Spartaco kam eines Tages nach Triest und hatte mehrere Tage so
Weitere Kostenlose Bücher