Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod
müsse ihm helfen. Er hatte einen dicken Briefumschlag dabei, in dem sich ein Stapel Fotokopien befand, in deutscher Sprache, die Livia übersetzen sollte. Das Original und die anderen Unterlagen hatte er in den Safe in seinem Büro geschlossen, nachdem die »Bestäuber« der Spurensicherung, die bereits unwirsch darüber waren, nochmals zum Schiff des Österreichers gerufen worden zu sein, murrend ihr Amt verrichtet hatten.
Parenzo, Kroatien, 20. Juli 1999, 20 Uhr
Parenzo ist aus einer römischen Kolonie an der Westküste Istriens hervorgegangen und war immer eine streitbare Stadt gewesen, die viel Leid in ihrer Geschichte ertragen mußte. Als Friedrich I. zum Jahresbeginn 1180 dem Patriarchen Ulrich II. die Besitzungen des Patriarchats Aquileia bestätigte, gehörte dazu auch Parenzo. Doch beanspruchten die Grafen von Görz immer wieder dieses Gebiet, woraufhin die istrischen Städte den venezianischen Schiffen ihre Häfen öffneten. Unter den Venezianern hatte die Stadt einiges auszuhalten. Dann zerstörten es die Genuesen, und im Jahr 1601 reduzierte die Pest die Bevölkerung auf dreihundert Einwohner. Bis 1883 wurde in Parenzo nur Italienisch gesprochen, was nach dem Zweiten Weltkrieg zur Lingua non grata wurde.
Viktor Drakic wußte davon nichts. Mit dem Wagen war er von Triest eine Stunde unterwegs gewesen, hatte den kurzen slowenischen Küstenstreifen durchfahren und überquerte danach die kroatische Grenze. Mit italienischem Kennzeichen wurde man kaum kontrolliert. Der Koffer lag die ganze Zeit auf dem Beifahrersitz. Die Beretta 100 steckte unter dem Armaturenbrett.
Viktor Drakic kannte das Städtchen, das verstopft war von deutschen und österreichischen Touristen, die das Währungsgefälle nutzten und im historischen Zentrum die Läden mit stillosem Goldschmuck besuchten, die sich dort aneinanderreihten. Und Viktor Drakic wußte, daß die Umgebung der Stadt am Meer dünn besiedelt und die flache, aber steinige Küste durch zahlreiche Eilande geschützt war. Er wußte auch, daß dieser Abschnitt der istrischen Halbinsel bis in die achtziger Jahre hinein der Ausgangspunkt für die Schmuggler gewesen war, die mit Motorbooten sich nachts den Weg zwischen den Inseln suchten und Zigaretten nach Italien brachten, die aus den zahlreichen Fabriken Jugoslawiens stammten, die für die amerikanischen Tabakriesen arbeiteten.
Drakic stellte seinen schwarzen Mercedes am Hafen ab, löste die Beretta und steckte sie auf dem Rücken in den Hosenbund. Er griff den Koffer und ging durch das südliche Tor der Stadtmauer. Nach wenigen Metern bog er in eine Nebengasse des belebten Zentrums. Hier war es ruhig. Nach weiteren hundert Metern klopfte er an die Tür eines alten Steinhauses. Ein durchtrainierter Hüne, so groß wie Drakic und mit vernarbtem Gesicht, öffnete, musterte Drakic und tastete ihn oberflächlich ab. Drakic war froh, daß er die Beretta 100 nicht fand. Obgleich er wahrscheinlich keine Chance hätte, sie in diesen Räumen zu benutzen, ohne vorher getötet zu werden, fühlte er sich mit ihr sicherer. Er stieg eine knarrende Holztreppe hoch und trat in die Stube des Hauses. Über dem schweren Holztisch in der Mitte des Raumes baumelte eine helle Lampe, die Gesichter der Männer am Tisch waren im Dunkeln und erst zu erkennen, wenn man selbst saß. Drakic griff den freien Stuhl und setzte sich, während er seinen Gruß in Kroatisch murmelte. Unfreundlich und hart antworteten die Stimmen. Man kannte sich schon seit einigen Jahren, doch beschränkte sich der Umgang auf eine schnelle, emotionslose Abwicklung der Geschäfte.
»Ist alles bereit?« Er legte den Koffer vor sich auf den Tisch.
Sein Gegenüber nickte nur und gab ein Zeichen mit einem Finger der rechten Hand, die er nicht vom Tisch hob. Der Mann links von ihm warf einen Packen Fotografien auf den Tisch vor Drakic, der sie aufnahm und durchblätterte.
»Acht? Wir hatten zehn vereinbart!«
»Die Wege sind schwieriger geworden. Die Grenzen werden stärker überwacht. Der Aufwand ist größer!« Der Mann sprach in kurzen Sätzen.
»Das ist euer Risiko. Zehn!« Auch Drakic verzog keine Miene.
»Die Slowenen spielen nicht mehr mit. Acht!«
»Es ist nicht möglich, einfach die Preise zu erhöhen. Da müssen erst alle zustimmen!«
»Red nicht! Es bleibt dabei: acht!«
»Dann werden wir uns umschauen.« Drakic schob die Fotos zurück. Sie wurden mit einer gelassenen Handbewegung aufgenommen.
»Red keinen Scheiß. Du bekommst keine anderen. Weit und
Weitere Kostenlose Bücher