Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod
ein blauroter Fleck von der Größe eines Tausendlirescheins zu sehen. Klar, daß ihr das nicht sehen konntet, so wie ihr das Ding geparkt habt.«
Orlando ging auf die gegenüberliegende Seite und lockerte die Vertäuung, dann kam er zurück und zog die Ferretti mit all seiner Kraft langsam herüber. Jetzt konnten sie es genau sehen: eine kleine Schleifspur, wie man sie sich beim gewaltsamen Einparken eines Autos zuzieht.
»Gut gemacht, Proteo!« Orlando klopfte ihm auf die Schulter. »Du warst schon immer seherisch begabt.« Er schaute sich die Spur lange an und schwieg. Laurenti war ungeduldig geworden, hielt sich aber zurück. Erst seine Mutter brach das Schweigen.
»Wie lange wollt ihr hier noch diesen lächerlichen Farbfleck anschauen? Das sieht sogar eine alte Frau wie ich, daß hier einer den anderen gerammt hat!«
»Und genau das glaube ich nicht«, antwortete Orlando endlich. »Ich glaube kaum, daß uns das hilft.«
»Warum nicht?« Laurenti hob die Augenbrauen.
»Weil die Yacht die Fender draußen hatte. Das heißt schlicht und ergreifend, daß der Österreicher damit einverstanden war, daß ein anderes Schiff längsseits festgemacht hat. Und wenn die Fender dazwischen sind, berühren sich die Kähne nicht. Gerade dazu sind die Dinger erfunden worden, ihr Landratten. Aber wir schauen es uns dennoch genauer an.«
Er pfiff durch die Finger und winkte einem Beamten, der aus dem geöffneten Fenster des ersten Stocks schaute. »Es gibt Arbeit für die Bestäuber. Ruf sie mal. Wir haben etwas übersehen.«
Auch denen würde es kaum gefallen, am Samstag Nachmittag noch einmal Arbeit zu bekommen.
17.40 Uhr
Von der Capitaneria waren Laurenti und seine Mutter auf die Piazza dell’Unità d’Italia gegangen, zum versprochenen Aperitif. Fast alle Tische des »Caffè degli Specchi« auf der Piazza waren belegt. Es dauerte wieder einmal lange, bis der Kellner ihre Bestellung aufgenommen und schließlich die Getränke gebracht hatte. Während er Ausschau nach der Bedienung gehalten hatte, entdeckte Laurenti einige Tische weiter Eva Zurbano, die mit dem Rücken zu ihnen saß und wiederholt auf die Armbanduhr schaute, als warte sie auf eine wichtige Verabredung. Kaum hatten die Zeiger der Turmuhr des Rathauses die Sechs überschritten, kam ein gut aussehender, aber deutlich jüngerer Mann an ihren Tisch, gab ihr die Hand und setzte sich. Er hatte schwarze Haare, war sehr gepflegt und sehr sicher in seinem Auftreten. Und er war ganz offensichtlich kein Triestiner. Mit dieser ausgeprägten Gestik konnte er nur aus dem Süden des Landes kommen. Laurenti hatte ihn zuvor die Piazza überqueren sehen. Er mußte aus dem gegenüberliegenden Hotel gekommen sein. Eine Viertelstunde später erhob er sich schon wieder, ohne etwas getrunken zu haben, und ging denselben Weg zurück.
»Mamma, siehst du den Mann dort?« fragte Laurenti.
»Den Sizilianer, den du die ganze Zeit beobachtet hast, anstatt deine Mutter anzuschauen, wenn sie mit dir spricht?« Der alten Dame war längst klar, wo er mit seinen Gedanken war.
»Ich weiß nicht, ob er Sizilianer ist, aber bitte«, sagte Laurenti, »tu mir einen Gefallen. Ich glaube, er geht ins Hotel. Geh hinter ihm her und krieg raus, wie er heißt und welches Zimmer er hat.«
»Und wie, glaubst du, sollte ich dies machen?«
»Laß dir was einfallen, Mamma! Du bekommst doch auch sonst immer alles raus, was du nicht wissen sollst«, antwortete Laurenti, aber die zierliche achtundsiebzigjährige Dame war schon aufgestanden und eiligen Schrittes losgetrippelt, bevor er zu Ende gesprochen hatte. Mit einer wegwerfenden Bewegung hatte sie ihm zu verstehen gegeben, daß sie es auch ohne seine Kommentare schaffen würde.
Eva Zurbano war ebenfalls aufgestanden. Laurenti bückte sich, damit sie ihn nicht erkennen konnte. Nach einiger Zeit richtete er sich wieder auf. Er nahm einen Schluck aus seinem Glas und schaute über die Piazza. Die Eiswürfel seines Drinks hatten sich noch nicht aufgelöst, als seine Mutter mit einem Hotelprospekt in der Hand zurückkam.
»Romano Rossi heißt er. Der Portier begrüßte ihn sehr unterwürfig. Er hat kein Zimmer. Er wohnt in der Suite für neunhunderttausend Lire die Nacht. Und er bleibt bis Mittwoch.«
Laurenti sah seine Mutter erstaunt an. »Wie hast du das rausbekommen?«
»Einfach, ganz einfach, mein Junge.« Sie reckte sich voller Stolz und tätschelte ihm zärtlich die Hand. »Ich habe mich erkundigt, ob sie vier Zimmer frei hätten, ab heute
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