Heinrich Mueller 01 - Salztraenen
noch einen Augenblick mit?«
In der Käserei hob Eichenberger den frischen Käse aus der Presse. 100 Kilo Emmentaler lagen bereit zur Veredelung, zum Einlegen in den Salzwassertank und schließlich zur sorgfältig gehegten Reife im Keller, bis ihn Moloko im zarten Alter von drei Monaten abholen würde.
»Wir haben hier ein einmaliges Qualitätsprodukt«, führte der Käser aus, »einen Käse aus Rohmilch von Kühen, die kein Silofutter zu fressen bekamen, hergestellt in uralter Handwerkstradition, die sich aus den ersten Talkäsereien heraus entwickelt hat. 1815 hat das Ganze in Kiesen seinen Anfang genommen. Lies mal das Kapitel in Gotthelfs Käserei in der Vehfreude, dann weißt du alles, was es darüber zu wissen gibt. Jeder Laib wird nach wie vor in einer Genossenschaftskäserei hergestellt, kein Stück Emmentaler entstammt einem Großbetrieb.«
An der Wand hingen rund um die modernen Maschinen alte Gerätschaften, meist aus Holz. »Ein Schriftsteller aus Bern war einmal hier zu Gast und hat den ganzen, damals noch handwerklichen Herstellungsprozess beschrieben. Heute hockt er manchmal im Hirschen und trauert der alten Zeit nach. Hier«, Eichenberger zeigte auf einen überdimensionalen Quirl, »seht ihr den Rührstock zum Vermischen von Milch und Lab im Kupferkessi, das auf der Alp heute noch über dem offenen Feuer hängt. Dort braucht der Senn den Ellenbogen, um die richtige Temperatur der Milch zu spüren. Daneben hängt die Käseharfe zum Brechen der Masse und die Kelle zum Verschöpfen des Bruchs. Je feiner das Korn, desto härter wird der Käse, der daraus entsteht«, fügte er an, bevor er weiter erklärte. »Den Käsebogen braucht man, um mit einem Tuch unter die Masse zu fahren und sie aus dem Kessi zu heben. Sie kommt dann in den Järb, den Käsereif, der den entstehenden Käse während des Pressens zusammenhält.«
Eichenberger wuchtete einen tropfenden Laib in die hintere Ecke, wo bald auch ein zweiter landete, bereit für das Salzbad.
»Die Demokratisierung des Geschmacks«, fuhr er in seinen Erklärungen fort, »erfordert eine Anpassung von Qualitätsprodukten an die Massenherstellung, das heißt im Extremfall Käse aus pasteurisierter Milch, keimfrei und haltbar, Käse mit wenig ausgeprägtem Eigengeschmack, das bedeutet junge, nur leicht gesalzene Käse, die sich nicht für die Alterung eignen. Die lokalen Produkte, silofreie Milch und Rohmilchkäse, sowie die Lagerung haben ausgedient.
Trotzdem verlangt diese Demokratisierung nach einer erhöhten Sortenvielfalt, weil ja nicht jeder immer wieder dasselbe essen will. So haben wir am Ende 200 austauschbare Sorten Käse, die sich im Wesentlichen durch ihre Etikette unterscheiden.
Letztlich ist also alles eine Frage des Marketings, der Kampf eines Produzenten gegen einen anderen um ein ununterscheidbares Produkt, bei dem es nur noch um den Preis geht. Und der tiefe Preis schlägt in jedem Fall auf den Produzenten des Basisprodukts zurück, auf den Rohstofflieferanten, der stets mehr vom Welthandelspreis abhängig wird, eine Drittweltstruktur sozusagen.
Aber: Kann der Geschmack wirklich demokratisiert werden, oder ist dies alles nur ein Missverständnis? Geht es weniger um den Geschmack an sich als um die Abwechslung, als deren Ursache eher Langeweile auszumachen ist denn Geschmacks-und Unterscheidungsvermögen? Oder limitieren wir die Produktion für auserlesene Minderheiten, die bereit sind, einen höheren Preis zu bezahlen? Was nicht nur die Verfügbarkeit beschränkt, sondern auch die Menge und den Verdienst.«
»Haben Sie die Wahl?«, fragte Müller.
»Ich glaube nicht«, antwortete der Käser nach der längsten Rede, die er in seinem Leben gehalten hatte. »Politisch ist es sicher nicht korrekt, die Produzenten, also die Bauern und Käser, einzuschränken und so eine kleine Minderheit zu schaffen, die an unserem Handwerk noch interessiert ist. Aber vielleicht ist das der Weg, den uns die Zukunft weist. Hoffentlich nach meiner Zeit.«
Donnerstag, 21. 9. 2006
Eichenberger bat seine beiden Besucher wieder in die Stube hinüber, seine Frau war eben aus Kurzenau zurückgekommen. Man setzte sich an den groben Holztisch, der in der Mitte eines ebenso kahl wirkenden Zimmers stand, kein Schmuck an den Wänden, keine Decke auf dem Tisch.
»Ab und zu brauchen wir diesen Raum auch als Arbeitsecke, wenn wir im Winter Tannenholzschindeln zubereiten, um einen cremigen Käse einzupacken, der wie ein Vacherin zubereitet wird. Dann müssen wir den
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