Heinrich Mueller 01 - Salztraenen
hellbraune kurze Hose, eher ein Pyjamateil als ein Beinkleid, war um die Knie herum nackt, ‘während die Unterschenkel in Wollsocken und die Füße in Sportschuhen steckten.
Wahrlich eine hitzige Bevölkerung, nur nicht, was ihre Leidenschaften angeht!
Es gibt auf Erden nicht bloß melancholische Menschen, es gibt auch melancholisches Wetter, und zwar zu allen Jahreszeiten. Umso hässlicher stechen dann die Tage ab, und umso melancholischer sind sie, an welchen grauschwarzes Gewölke am Himmel hängt, wüste, unheimliche Bysennebel und ein saurer Wind über die Erde streicht, sauer und frostig die ganze Luft ist und sauer und frostig jedes Menschen Gesicht, jedes Gesicht der Abdruck eines Gemütes, das mit nichts zufrieden ist …
Heinrich schloss die Tür zur Detektei Aubois und Müller auf, die zugleich auch seine Wohnungstür war. Der satte Geruch des Katzenklos war durch die kühle Abendluft etwas ausgeräumt, aber da noch nicht geheizt wurde, blieb es in den Zimmern kalt, auch nachdem der Detektiv die Kippfenster geschlossen hatte. Baron Biber würde an der Scheibe kratzen müssen, so er geruhte, an diesem Abend nach Hause zu kommen.
Müller entfachte die Gasflamme im Backofen und ließ die Tür offen, um doch etwas Wärme zu erzeugen. Dann begab er sich ins Badezimmer, wo ein Brotbackgerät stand, das er nun mit Wasser und Mehl fütterte und so programmierte, dass es am Morgen nach frischem Brot duften würde. Dann startete er den Computer, lud die E-Mails herunter und öffnete gleichzeitig die Post, die neben Briefen von Hilfsorganisationen und solchen mit religiösen Traktaten nicht viel enthielt.
Auf dem Mailserver hingegen waren drei Dutzend Meldungen gespeichert, unter anderem eine Dokumentation der Versicherung, die die Angaben über den Autounfall ergänzte, jedoch keine neuen Erkenntnisse enthielt. Dann öffnete er die restlichen Mails der Reihe nach. Beim dritten las er: »Hör mal, mein Freund, du sprichst hier große Worte aus kleinem Munde, einfach wie ein Arschloch, hast Du schon einmal einen Mörder gesehen? Oder worüber sprichst du überhaupt, du Sauhund? Deine Antwort ist eine Gotteslästerung. Ich sage dir, lese Paulus, mein Freund, oder Gott soll über dich herfallen, dass nichts von dir übrig bleibt, du Schmalspurdetektiv.« Unterzeichnet war das Mail mit ›b.eich‹, was sehr schnell auf den Sohn des Käsers schließen ließ. Nun erschrak Heinrich zwar über die Heftigkeit der Drohung, aber gleichzeitig verstand er nicht, weshalb der Absender seine Identität nicht verborgen hatte.
Dann entdeckte er noch zwei weitere Mails mit demselben Absender und ähnlich kruden Vorwürfen. In einem war eine Bibelstelle zitiert, aber nicht Paulus, sondern Richter 9, Vers 13-14: »Da sprachen alle Bäume zum Dornbusch: Komm du und sei unser König! Und der Dornbusch sprach zu den Bäumen: Ist’s wahr, dass ihr mich zum König über euch salben wollt, so kommt und bergt euch in meinem Schatten; wenn nicht, so gehe Feuer vom Dornbusch aus und verzehre die Zedern Libanons.« Eine Erläuterung war allerdings nicht mitgegeben. Müller aber erinnerte sich an Moses, dem der Engel des Herrn erschien »in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde.«
Offenbar geblendet vom Alpenglühen hielt sich der Sohn des Käsers für einen neuen Mose, der vor dem brennenden Dornbusch stand und Gottes Gebote in Empfang nahm. Nur, welches Volk er retten wollte, das wusste der Detektiv nicht zu sagen. Die Kurzenauer jedenfalls bedurften keiner Ermahnung vor biblischen Plagen, es sei denn, der Absender der E-Mails sei selber dafür verantwortlich. Daran mochte Müller nicht glauben, zu plump waren die Botschaften. Und zum Lesen von ›Paulus‹-was immer damit gemeint war – konnte er sich auch nicht durchringen.
›Was bringt die Zukunft?‹, fragte eine Broschüre, die in der Post lag, und weiter: ›Es gibt eine Antwort auf all die Fragen und die Ungewissheit, die unsere Welt erfüllen. Die Schlagzeilen von morgen wurden ebenfalls vorhergesagt. In der Offenbarung, dem letzten Buch der Bibel, ist davon die Rede.‹
Müller seufzte und erinnerte sich an einen der wenigen Witze, die er sich hatte merken können, den er nun aber in die Stille seiner Wohnung an den imaginären Absender sagte: ›Was meinst du als Unbeteiligter zum Thema Intelligenz?‹
Das Lachen des Detektivs hallte noch von den Wänden, als der Kater vor dem Fenster auftauchte
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