Heinrich Mueller 01 - Salztraenen
und ein klägliches Maunzen von sich gab.
Müller ließ ihn ins Wohnzimmer, dann holte er Papier und Bleistift und schrieb die Titel von drei neuen Listen auf, die er bei Gelegenheit ergänzen musste: Die zwölf schönsten Monate; die sieben heißesten Todsünden; die zehn besten Gebote. Dann notierte er sich das elfte Gebot: Bastle keine Verschwörungstheorien! Gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass dies eines der am häufigsten übertretenen war und es deshalb wohl auf Moses Gesetzestafeln keinen Platz mehr gefunden hatte.
Schließlich studierte Heinrich die Presseberichte der letzten Tage, erkannte aber auch darin keinen roten Faden oder irgendeinen Hinweis, den er nicht schon selber gefunden hätte. Vor allem war von Therese Bärs Berner Vergangenheit keine Rede, was ihn doch ein wenig wunderte.
Auf der anderen Seite konnte er von den Journalisten, die nicht über alle Informationen verfügten, keine Wunder erwarten. Die schwierigste Frage war diejenige nach einem Motiv für die Taten. Und darauf hatte auch er keine Antwort.
Er hatte es nun mit vier Toten zu tun, von denen er nicht wusste, ob sie alle eines unnatürlichen Todes gestorben waren und ob zwischen ihnen eine Verbindung bestand oder nicht. Da war – in zeitlicher Reihenfolge – zuerst einmal die Frau von Werner Ramseier. Das Sterbedatum lag wohl schon zu weit zurück, außerdem waren damals keine Verdachtsmomente aufgekommen, es hatte also auch keine Untersuchung stattgefunden. Stutzig machte nur die Tatsache, dass der alte Bauer seither wie verwandelt durchs Leben ging.
Dann der Tote unter dem Felsabsturz der Schrecknadel, der von seinen Kühen in den Abgrund gestoßen worden war. Auch hier keine Verdachtsmomente, aber im Nachhinein erstaunlich, dass es darüber kein umfangreiches Dossier gab. Ernst Bär galt als Hauptverdächtiger, genau wie beim Mord an seiner Frau, also lag ein Zusammenhang auf der Hand. Aber wie stand es mit Housi Bähler, dem Einwäger von Moloko?
Auf diese Fragen gaben die biblischen Fanatiker keine Antwort, und auch die Offenbarung würde nichts über die Zusammenhänge der vorliegenden Taten berichten. Da brauchte es das Gehirn von Heinrich Müller und auch ein wenig die Intuition seines Katers Baron Biber.
Ernst Bär, Beat Eichenberger, Werner Ramseier, Leute, die sich durch eigene Aussagen tatverdächtig gemacht hatten. Aber wer kam sonst in Frage? Der Käser? Der Wirt mit seinem Siebzigerjahre-Schmuddelsex-Tick? Der Bauer von der Wildenalp? Durfte er einfach alle Frauen außer Acht lassen? Müller war keinen Schritt weiter, wenn er ehrlich mit sich blieb. Und auch sein berüchtigtes umgekehrt analytisches Denken ließ ihn heute im Stich. Es weiß kein Mensch, wie lange du mit deinen Storzen machen würdest, käulest ja an einem Brotrauft vom Neu bis zum Wedel.
Heinrich Müller ging noch einmal aus dem Haus. Eigentlich trieb es ihn in die Altstadt von Bern, in eine Kneipe, die in den Siebzigerjahren sein zweites Zuhause gewesen war. Manche sagten, sein erstes.
Sowohl das Äußere des Lokals wie auch das Interieur waren unverändert. Café des Pyrenées , genannt Pyri. Leicht unter dem Straßenniveau lag der Eingang zwischen zwei großen Fenstern, die von dunklem Holz eingefasst wurden. Da drin saßen sie, am selben Tisch wie vor 30 Jahren. Als ersten erkannte er Kröte. Dann Fredu, Jimmy und Christina, hinter Rauchschwaden vor dem Bier sitzend. Still und unbewegt.
Zuerst hob Kröte seinen Kopf und winkte Henry an den Tisch, als ob er am vorherigen Abend erst weggegangen wäre. Kröte hatte schon immer Kröte geheißen, so sehr Kröte, dass keiner mehr seinen wirklichen Namen kannte. Ein ehemaliger Linksaktivist, zu jung für 68, zu alt für die Achtziger-Bewegung, ein Leben lang zwischen Stuhl und Bank. Auf dem Wahlplakat der Grünen Partei hatte Heinrich ihn einmal gesehen, aber erst auf den zweiten Blick erkannt. Kröte war dann tatsächlich in den Stadtrat gewählt worden, wo er seine Freizeit seit zwanzig Jahren als Hinterbänkler verbrachte. Irgendwie hatte er sich verändert, das Haar schütter, den einen oder andern Joint zu viel.
»Setz dich«, sagte Kröte. »Lange nicht gesehen. Immer noch bei der Polizei?«
Ein kaum wahrnehmbarer Schreck durchzuckte die andern.
Henry lachte. »Du bist nicht auf dem Laufenden. Privater Ermittler, seit du im städtischen Parlament sitzt.«
Darauf wird die Runde munter. Endlich eine Gelegenheit, die alten Geschichten wieder mal zu erzählen, diejenigen, die keiner mehr
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