Heinrich Mueller 01 - Salztraenen
nicht identifizierbaren Computer. Aber wenn der Verdacht auf ihn fällt, die Spurensuche eingegrenzt werden kann, wird man das Schriftbild seinem Drucker zuordnen können oder untersuchen, welche anderen Geräte er benutzt haben könnte.«
»Dasselbe gilt für E-Mail«, ergänzte Zaugg. »Man hinterlässt überall elektronische Spuren, auch bei einem falschen externen Mail-Konto. Direkte Telefonanrufe, selbst bei verstellter Stimme, fallen aus. Das macht den Mörder nervös, da er seinen Plan nicht umsetzen kann. Dann verfällt er auf die Idee, aus einer Telefonzelle in der Stadt eine ältere Dame anzurufen, die bestimmt kein Aufzeichnungsgerät an ihrem Apparat hat, und ihr zu diktieren, was sie der Polizei sagen soll. Aber die Polizei wird den Anruf zurückverfolgen und herausfinden, aus welcher Telefonzelle er getätigt worden ist. Dann gibt es bestimmt irgendwo in der Nähe eine Überwachungskamera, die ihn beim Kommen oder Gehen gefilmt hat.«
»Der perfekte Überwachungsstaat«, wandte Müller ein. »Weshalb habt ihr den Täter nicht schon längst erwischt?«
Blaser verwarf die Hände. »Besagte Dame hat über eine Stunde lang mit sich gerungen, ob sie den ›obszönen Anrufs wie sie es nannte, wirklich weiterleiten sollte. Dann ist der Aufnahmezyklus je nach Kamera bereits abgelaufen.«
»Was hat er denn gesagt«, wollte Heinrich wissen.
»Schaut euch auf dem Dachboden um, da findet ihr ein paar Bilder, die alles erklären.« Welcher Art die Bilder sein sollten, hat uns die Dame nicht verraten, sie würde sonst vor Scham erröten.«
»Und? Etwas gefunden?«
»Zwei Videokassetten, auf denen man mit großer Hingabe für unscharfe Bilder und viel Vorstellungsvermögen eine nackte Frau, wohl Therese Bär, mit einem Mann sehen kann, offenbar mit sehr versteckter Kamera beim Liebesakt gefilmt.«
»Wer ist der Mann?«, fragte Müller.
»Nicht zu erkennen, man sieht ihn nur von hinten. Kräftige Waden, ein strammes Gesäß, ein nass geschwitzter Rücken. Therese Bärs Kopf kommt einmal kurz ins Bild. Eine schöne junge Frau.«
»Das heißt, die Videos sind mindestens 20 Jahre alt«, schloss der Detektiv.
»Richtig. Kaum ein Motiv für einen Mord in der gestrigen Nacht.«
»Jetzt müsst ihr mir nur noch eines erklären: Weshalb beeilen sich die Leute alle, ins Tal zu kommen?«
»Die Berner Kantonspolizei hat angeordnet, dass alle Männer im Kurzgraben einem DNA-Screening unterzogen werden, nachdem man auf dem Stiel der Axt Blut einer Blutgruppe festgestellt hat, die weder von Therese noch von Ernst stammt. Das ganze Tal will gegen die neuerliche Untersuchung, die morgen beginnen soll, protestieren.«
»Erinnerst du dich an den Kinderschänderfall vor ein paar Jahren?«, fragte Zaugg.
»Warst du damals schon bei der Polizei?«
»Noch in der Ausbildung.«
»Du meinst«, erwiderte Blaser, »als wir schon einmal alle Männer aus dem Graben getestet haben?«
»Genau den. Und dann war’s der leibliche Vater.«
»Was soll das jetzt nützen?«
»Wir müssten Zugriff auf die Daten haben«, meinte Zaugg.
»Die wurden alle gelöscht, als das Verfahren abgeschlossen war«, sagte Blaser.
Zaugg lachte. »Du glaubst doch nicht allen Ernstes daran, die Polizei würde Ermittlungsdaten vernichten, die sie einmal unter großen Mühen und mit staatlichen Geldern erarbeitet hat.«
Blaser schwieg.
Zaugg ergänzte: »Es gab ein Problem damals. Einer der Bauern hat sich der Analyse durch Flucht entzogen. Du weißt bestimmt, welcher.«
Blaser nickte.
»Der Wildeggbauer. Ernst Bär.« Müller sagte es wie eine Bestätigung, dass er damals dabei gewesen war.
»Genau. Er war’s ja dann auch nicht«, sagte Blaser.
»Nein.« Zaugg schnaubte. »Aber er wird etwas anderes zu verbergen gehabt haben, das uns heute von Nutzen sein könnte.«
»Damit dürftet ihr nun die geringsten Probleme haben. Der sitzt doch in Untersuchungshaft«, meinte Müller. »Aber an etwas anderes habt ihr nicht gedacht.«
Zaugg lachte. »Jetzt ist der Detektiv aus Bern gescheiter als die Polizei. Woran denn?«
»Wenn wir es mit einer Täterin zu tun haben, macht ihr die teuren Tests vergeblich.«
Inzwischen waren die drei vor dem Bären angekommen, wo sie schon von einer beträchtlichen Menschenmenge erwartet wurden.
»He, Detektiv!«, schrie einer. »Dir haben wir diesen Test zu verdanken. Zum zweiten Mal in wenigen Jahren wird das ganze Tal verdächtigt. Mach bloß, dass du schnell Leine ziehst, sonst lernst du den Kurzgraben von seiner
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