Heinrich Mueller 04 - Gnadenbrot
bekannt. Das Historische Museum hat diese Blumen ein paar Jahre lang auf der Wiese vor dem Haupteingang angepflanzt.
Neben dem Berner Exemplar, von dem die oberen zwei Drittel erhalten sind, gab es noch einen zweiten Teppich, der in zwei Stücke geschnitten worden war. Ein Teil davon hing in Fribourg in der Kathedrale St. Nicolas, wahrscheinlich im Chor hinter einem Kruzifix. Er wurde dort zu einem unbekannten Zeitpunkt abgehängt und verschwand. Es war die untere Hälfte des Teppichs. Die obere Hälfte muss ebenfalls den eidgenössischen Truppen in die Hände gefallen sein. Sein Schicksal ist allerdings unbekannt.
Das auf dem Foto dargestellte Stück konnte demnach keines der Fribourger Teile sein. Hingegen würde es zum Berner Exemplar passen. Es lässt sich auch vorstellen, dass das verschollene Fribourger Stück wieder aufgetaucht und so zurechtgeschnitten worden wäre, dass es vorgeblich zu den beiden Berner Teilen passt. Das würde allenfalls den Wert erhöhen, ließe sich jedoch nur am Original feststellen.
Denkbar wäre natürlich, dass sich tatsächlich das zum Berner Behang gehörende Drittel erhalten hätte. Allerdings ist diese Wahrscheinlichkeit sehr gering. Jedenfalls lässt sich aus der vorliegenden Fotografie keinerlei Schlussfolgerung ziehen. Wir gehen vorerst von einer plumpen Fälschung aus.‹
Heinrich Müller verlangte den zuständigen Sacharbeiter am Telefon, dankte für die Einschätzung und bat um eine Wertangabe, sollte es sich um das Original handeln.
»Nun ist Kunst & Krempel also bei uns angekommen«, seufzte der Mann.
»In gewisser Weise«, erwiderte der Detektiv, »Kunst – falls es um den Originalteppich geht, Krempel – wenn Sie damit den Tod eines Menschen meinen.«
Am andern Ende blieb es still.
»Wir ermitteln in einem Mordfall«, ergänzte Heinrich Müller. »Mich interessiert eigentlich nur, ob es sich für den Preis der Ware zu töten lohnt.«
»Finden Sie die Summe von zehn Millionen Franken lohnenswert?«, fragte der Museumsmann.
Jetzt war es an Müller zu schweigen.
Rasch setzte der Sachverständige nach: »Selbstverständlich ist dies ein fiktiver Wert. Auf dem Kunstmarkt lässt sich auf einer Auktion möglicherweise ein Drittel dieses Betrags realisieren, falls die Herkunft des Teppichs zweifelsfrei dokumentiert werden kann. Den vollen Wert erreicht er nur im Zusammenhang mit den andern beiden Fragmenten. Aber das Bernische Historische Museum hat keine entsprechenden Gelder zur Verfügung.«
»Wie viel könnten Sie denn bezahlen?«, fragte Müller.
Nach kurzem Zögern sagte der Mann: »Wahrscheinlich könnten wir mit staatlicher Unterstützung und privaten Sponsoren eine Million anbieten, vielleicht auch noch etwas mehr. Aber auch wir bestehen auf einer lückenlosen Dokumentation und lassen selber erst eine gründliche Expertise erstellen.«
Die Grauzone, in der sich Heinrich Müller bewegte, war somit relativ groß.
Schließlich trafen sich die vier Protagonisten im Bauch & Kopf, obwohl es der Sitz der Detektei Müller & Himmel war, betrachtete es Bernhard Spring als neutrales Gebiet. Er hatte sich der Bürostruktur der Police Bern leicht entfremdet und nutzte hauptsächlich ihre hervorragenden technischen Dienste. Bereits bei der DNA-Analyse war das Rechtsmedizinische Institut der Universität Bern weltweit führend. In Zusammenarbeit mit dem amerikanischen FBI hatte die Abteilung Forensische Molekularbiologie anfangs der Neunzigerjahre die erste relevante DNA extrahiert.
Nun hatte sich der nächste Fortschritt etabliert, und wieder war Bern Avantgarde: Das Zentrum für forensische Bildgebung und Virtopsy entwickelte einen optischen Scanner, der Körperoberflächen von Lebenden und Toten maßstabgetreu, dreidimensional und farbig darstellt. Dadurch wird in vielen Fällen eine Autopsie unnötig, es kann sogar mit größerer Präzision vorgegangen werden, da beim realen Aufschneiden von Leichen unweigerlich Befundsituationen gestört werden. Es gehen zum Beispiel Flüssigkeiten verloren, Hohlräume verändern ihre Position, Gase entweichen. Mit Virtopsy wird der Körper zuerst wie in der Medizin mit einem Magnetresonanzgerät sozusagen in Scheiben geschnitten. Das war nun auch mit Thomas Däppen geschehen. Dabei konnte man den genauen Verlauf des Eintrittskanals der Kugel dreidimensional darstellen.
Bernhard Spring hatte selbst an einem Modell den Stab geführt, den man zum Beispiel durch einen Schusskanal ins Gehirn einführen konnte. Er fütterte ein
Weitere Kostenlose Bücher