Heinrich Spoerl
überzeugt, am anderen Ende der Strippe hängt ein finsterer, stirnrunzelnder Mann, stenographiert, was er hört, versteht falsch, wenn man zu leise spricht, und missdeutet, wo ihm der Zusammenhang fehlt.
Man muß sich darauf einrichten. Knittel wacht wie ein Zensor über jeden Satz und unterbricht mit erhobenem Finger, wenn es verfänglich werden könnte. Alle Gespräche werden von ihm dirigiert und staatspolitisch abgestimmt. Der Stil leidet darunter. Man benimmt sich durchaus hundertfünfzigprozentig, alles ist schön und groß und gut. Nur wenn von Beiträgen die Rede ist oder von Butter, wirft man einen besorgten Blick auf das Telephon und schleicht ins Schlafzimmer.
So macht sich Knittel seine Küche zum Kasperletheater.
Und als er schließlich noch eine Vorladung bekommt, nicht eine gewöhnliche zum Polizeirevier, damit hat er schon gerechnet, sondern eine feierliche durch besonderen Boten und zum Alexanderplatz er mit seinen Nerven am Ende. Er wütet durch die Wohnung, trommelt mit den Fäusten auf den Küchentisch und behauptet, er sei es leid, das täte er nicht mehr länger mit, und er nähme sich das Leben.
»Nimm dir lieber einen Anwalt«, jammert Erika.
Von Onkel Alfred hat Knittel die Adresse bekommen, und es ist in der Tat ein lieber und feiner Herr, und er kommt nicht gleich mit Vorschuss und Paragraphen, sondern hört sich Knittels Leidensweg geduldig an: »Gut, daß Sie mir Ihre seelischen Beschwernisse so rückhaltlos offenbaren, dann ist Ihnen auch leichter zu helfen. Sie haben eine kleine Neigung zum Querulieren, Sie müssen sich überwinden und endlich einmal damit abfinden, daß die Polizei recht hat.«
Knittel geht in die Höhe. »Wieso?«
»Weil sie ein Stück Staat ist. Und der Staat – hat immer recht. Außerdem kommt es praktisch nicht darauf an, wer recht hat, sondern wer recht behält. Und da sind Sie gegen die Polizei im Nachteil. Sie hat den längeren Atem und die bessere Konstitution; sie kann warten, bis Sie durch Ihr schlechtes Gewissen die Nerven verlieren. Und mir scheint. Sie haben damit schon angefangen.«
»Wer sagt, daß ich ein schlechtes Gewissen habe, ich weiß es selber nicht richtig«, klagt Knittel. Dann reißt er sich zusammen: »Im übrigen stehe ich auf dem Standpunkt, mein Geld ist Privatsache und geht keinen was an.«
»Da muß ich Sie abermals enttäuschen. Es gibt heute keine Privatsachen mehr. Und wenn wir das beliebte Luftschloss träumen und uns durch Zauberschlag zehntausend Mark in die Brieftasche wünschen, so sind wir im Irrtum: Es genügt nicht, daß man Geld hat, in einem geordneten Staatswesen muß man auch wissen, woher.«
Knittel sieht es ein. »Herr Doktor, Sie meinen also, ich soll die Sache mit dem Schlafanzug ruhig erzählen?«
»Ich kann Ihnen darüber nichts Maßgebendes sagen, aber wenn Sie meine private Meinung hören wollen, dann möchte ich Ihnen empfehlen, sich vielleicht etwas Besseres auszudenken.«
»Ausdenken? Erlauben Sie mal, das ist doch wahr. Aber wenn Sie mir das nicht glauben!«
Der alte Herr schaut in die Luft. »Richtig. Auf das Glauben kommt es an. Wahrheit ist kein objektiver Begriff. Als wahr können wir immer nur das bezeichnen, was wir für wahr halten. Ein anderer Maßstab steht uns nicht zur Verfügung. Und daraus ergeben sich drei Folgerungen. Erstens: Was von keinem Menschen geglaubt wird, kann nicht den Anspruch auf Wahrheit erheben. Zweitens: Was alle Menschen glauben, wird dadurch zur Wahrheit. Und drittens: Was nur der einzelne glaubt, ist seine ganz private Wahrheit. Übrigens das einzige Gebiet, auf dem es noch Privatsachen gibt.«
Knittel kann es nicht länger ertragen: »Herr Doktor, ich bin nicht zu Ihnen gekommen und zahle mein teures Geld, um mir weise Sprüche anzuhören, die habe ich zu Hause auf dem Abreißkalender. Ich will jetzt endlich wissen, woran ich bin und was ich tun soll!«
Der alte Herr ist diesen Ton nicht gewohnt, aber aus langer Praxis weiß er das Mittel dagegen: »Rauchen Sie?« Mit der gemeinschaftlich entzündeten Zigarre dämpft er das Gemüt und stellt den Frieden wieder her. Und als die blauen Schleier in der Luft hängen und um die Köpfe weben, kann er in seinen Betrachtungen fortfahren: »Ich persönlich will Ihnen den Gefallen gern tun und an den Schlafanzug glauben. Ich bin ein alter Mann und wundere mich nicht mehr. Aber die Polizei ist jung und hat keinen Sinn für Romantik, da müssen Sie schon etwas anderes erfinden. Etwas, das vielleicht weniger wahr, aber
Weitere Kostenlose Bücher