Heirate mich, Prinzessin!
die Beine unter. „Willst du mir erzählen, was du geträumt hast?“
Zögernd wich er ihrem Blick aus. Doch dann nickte er. „Ich habe nicht immer nur gute Zeiten erlebt. Die schlechten suchen mich von Zeit zu Zeit heim. Warum, weiß ich nicht. Meine Jugend, die ich auf den Straßen Italiens verbracht habe, ist lange vorbei, und die Erinnerungen sind verblasst.“
„Wirklich?“, fragte sie. „Manche Erinnerungen verblassen nie, besonders an jene schlimmen Dinge, die man als Kind erlebt hat. Je älter man wird, desto schärfere Konturen scheinen sie anzunehmen.“
„Aber ich war kein Kind mehr, als ich aus dem Heim weggelaufen bin“, wandte er ein.
„Ich kann mir vorstellen, dass du im Heim Grund genug hattest wegzulaufen. Und mit dreizehn ist man noch lange nicht erwachsen. Du hattest kein Zuhause, keinen Menschen, dem du vertrauen konntest, nichts zu essen. Wie hast du diese Zeit bloß überlebt, Ferruccio?“
„Millionen Kinder auf der ganzen Welt überleben diese Hölle täglich.“
„Aber keines von ihnen erreicht das, was du erreicht hast, Ferruccio. Es gibt dafür nur eine Erklärung. Es ist ein Wunder.“
Verblüfft schaute er sie an, als könne er nicht fassen, dass sie ihm plötzlich nicht mehr feindselig gegenüberstand. Im Gegenteil. Was sie sagte, zeigte ihm, dass sie ihn offensichtlich sogar schätzte.
Sie musste lächeln, als sie merkte, dass ihm diese plötzliche Erkenntnis fast peinlich war. Ehe sie ihm ausweichen und erklären konnte, dass es sich hier nur um Fakten handelte, sagte er: „Ich glaube nicht, dass es sich hier um ein Wunder handelt. In meinem Leben gab es genauso viele Chancen wie Niederlagen. Die Ungeheuer, die mich bedrohten, waren den Engeln, die mich schützten, unterlegen. Wenn ich es recht bedenke, dann gibt es mehr Dinge, für die ich dankbar sein muss, als solche, die mir das Leben schwer gemacht haben. Ab und zu habe ich Albträume. Na und? Sie erinnern mich daran, dass ich sterblich bin, und holen mich auf den Boden der Tatsachen zurück.“
Das war leicht dahergesagt, doch Clarissa las zwischen den Zeilen. Ferruccio war ein außergewöhnlicher Mensch, der selbst auf der Höhe des Erfolgs nicht abhob, sondern genau wusste, dass Macht und Reichtum vergänglich waren.
Und sie begriff noch etwas. Ferruccio war als Frauenheld verschrien, der seine Eroberungen nach einer heißen Nacht einfach wegschickte. Wie kaltherzig und brutal, hatte Clarissa früher gedacht. Doch nun sah sie es in einem anderen Licht. Wahrscheinlich hatte Ferruccio keine Lust gehabt, diese Schwäche, deren Zeuge sie gerade hatte werden dürfen, irgendjemandem zu offenbaren. Auf die Idee, Trost und Verständnis zu suchen, war er offenbar nie gekommen.
Was sie erstaunte, war, dass er nun, da sie Bescheid wusste über die Albträume, die ihn manchmal heimsuchten, vollkommen entspannt schien, fast erleichtert.
„ Ti ringrazio, bellissima .“
Verwundert schaute sie ihn an. „Wofür?“
Er strich ihr zärtlich über die Schläfe, fuhr mit dem Finger über ihre Wange bis zu ihren leicht geöffneten Lippen. „Dafür, dass du gegen das Ungeheuer kämpfen wolltest, das meine Träume heimgesucht hat.“
Die ungewohnte Vertrautheit zwischen ihnen wich jenem prickelnden Gefühl, das sie seit ihrer ersten Begegnung in Gegenwart des anderen spürten. Da war es wieder, das Verlangen, es schien in Clarissa heftiger aufzulodern als je zuvor.
Ihre Augen hatten sich an das Dämmerlicht im Zimmer gewöhnt, und sie nahm Ferruccios markantes Gesicht noch intensiver wahr als zuvor. Langsam ließ sie ihren Blick tiefer gleiten, bewunderte seine athletischen Schultern, seine breite, muskulöse Brust, seinen flachen Bauch … Bekleidet war Ferruccio ein Traummann, nackt – oder fast nackt wie jetzt – gab es nichts, was Clarissa jemals schöner erschienen wäre.
„Gefällt dir, was du siehst?“, fragte er ruhig.
Dieselben Worte hatte er am Vortag benutzt, aber da bezog er sich auf sein Anwesen und die umgebende Landschaft. Jetzt aber meinte er sich selbst.
Sie schluckte kurz, dann antwortete sie dasselbe wie am Abend zuvor. „Ich bin ein lebendiges Wesen, nicht wahr? Also gefällt es mir.“
Seine weißen Zähne blitzten, als er lächelnd antwortete: „Dann … bedien dich.“
6. KAPITEL
Clarissa wusste nicht, wo sie sich zuerst bedienen sollte. Vielversprechend war Ferruccios sinnlicher Mund, aber auch seine hohe Stirn, die gerade Nase, das markante Kinn luden sie ein, ihn zu berühren und zu
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