Heirate nie einen Italiener
Sizilien handelte. Nun sah sie also zum ersten Mal die Heimat ihrer Vorfahren – und damit in gewisser Weise auch ihre eigene. Denn selbst wenn sie sich zeitlebens dagegen gesträubt hatte, lagen ihre Wurzeln auf diesem fruchtbaren und von der Sonne verwöhnten Dreieck im Mittelmeer.
Doch um diesem Gedanken lange nachzuhängen, war ihre Sorge um Lorenzo viel zu groß, der mit angsterfüllter Miene neben ihr saß. Er schien die Sekunden bis zur Landung zu zählen und erwartete mit Bangen den Moment, in dem er seiner Familie gegenübertreten und bereits an ihren Gesichtern erkennen würde, ob das Undenkbare eingetreten war.
Helen riss sich von dem Ausblick los und nahm Lorenzos Hand, um ihm Mut zu machen. Er dankte es ihr mit einem unbeholfenen Lächeln.
Es faszinierte sie zutiefst, dass dieser selbstbewusste und weltgewandte Mann sich seiner Gefühle nicht im Geringsten schämte. Nicht zuletzt daraus schöpfte sie die Kraft, ihre Gefühle für ihn nicht länger zu leugnen. Und die beschränkten sich nun einmal nicht auf die Bereitschaft, sich ihm leidenschaftlich hinzugeben, weil das Verlangen alle Hemmungen hinweggerissen hatte. Dass sie jetzt an Lorenzos Seite war, ging über jede noch so große Leidenschaft hinaus, weil ihr Herz diese Entscheidung diktiert hatte.
Kaum hatten sie den Zoll passiert, hielt Lorenzo ängstlich Ausschau nach seiner Familie. Endlich entdeckte er eine junge blonde Frau, die ihm zuwinkte und dabei die Daumen nach oben hielt. Mit wenigen Schritten war er bei ihr und umarmte sie erleichtert – wenn auch vorsichtig, weil sie hochschwanger war.
“Sie ist außer Lebensgefahr”, hörte Helen die Frau sagen, als sie neben den beiden stand. “Sie kann es kaum erwarten, dich zu sehen.”
Lorenzo machte Helen mit seiner Schwägerin Heather bekannt, die sie überaus herzlich begrüßte. “Wir freuen uns schon alle, dich endlich kennenzulernen. Es ist dir doch recht, wenn ich dich duze? Lorenzo hat so viel von dir erzählt, dass mir das förmliche Sie nur schwer über die Lippen käme.”
“Sehr gern.” Nur mühsam widerstand Helen der Versuchung, Heather zu fragen,
was
Lorenzo über sie erzählt hatte. Dafür hatten die beiden es viel zu eilig, ins Krankenhaus zu kommen.
“Mamma hatte einen Kreislaufzusammenbruch”, berichtete Heather während der Fahrt nach Palermo. “In Anbetracht ihres Alters und ihrer angegriffenen Gesundheit haben wir sicherheitshalber einen Krankenwagen gerufen. Die Ärzte haben sich rührend um sie gekümmert, und mittlerweile ist sie schon wieder obenauf.” Sie wandte sich zu Helen um. “Als ich ihr erzählt habe, dass du Lorenzo begleitest, ging es ihr gleich besser.”
Helen erwiderte ihr Lächeln nur halbherzig. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, sich einen Eindruck von der Frau zu machen, bei deren Anruf Lorenzo einen Moment lang vergessen zu haben schien, dass er sich im Bett einer anderen befand. Auch jetzt war die Vertrautheit und Zuneigung zwischen den beiden spürbar.
Nach kurzer Fahrt erreichten sie das Krankenhaus. Vor Baptista Martellis Zimmer erwartete sie ein Mann, der Lorenzo mit einem anerkennenden Klaps auf die Schulter begrüßte, bevor er Heather herzlich umarmte und küsste.
Diese war es auch, die Helen mit ihrem Mann Renato bekannt machte. Er war deutlich kleiner als Lorenzo und sein Teint dunkler, doch wirkte er noch kräftiger und muskulöser. “Wir haben deinem Besuch schon entgegengefiebert”, sagte er freundlich und duzte Helen mit großer Selbstverständlichkeit. “Es wurde höchste Zeit, dass Lorenzo dich uns persönlich vorstellt.”
Noch ehe Helen wusste, was sie erwidern sollte, wandte sich Renato an seinen kleinen Bruder. “Und jetzt ab mit dir”, sagte er im Befehlston. “Mamma erwartet dich schon sehnsüchtig.”
Kaum hatte Lorenzo die Tür hinter sich geschlossen, kam ein junges Paar den Flur entlang und winkte bereits von Weitem. Bernardo und Angie waren eigens aus Montedoro gekommen, um ihre Mutter zu besuchen. Doch die vielsagenden Blicke, die Helen erdulden musste, ließen es zumindest denkbar erscheinen, dass die Neugier auf Lorenzos Begleiterin der Sorge um Baptista Martelli in nichts nachstand.
Angie schien Helens Verlegenheit bemerkt zu haben, denn sie kam zu ihr und umarmte sie herzlich. “Ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar ich dir bin, dass du den weiten Weg auf dich genommen hast, um Lorenzo zu begleiten.”
Die vertraute Anrede bestärkte Helen in dem Verdacht, dass sich die
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