Heirate nie einen Italiener
Helen klar, als ihr Blick auf das Mädchen fiel. Der Schneider war offensichtlich bestrebt gewesen, mit möglichst wenig Stoff auszukommen.
Die Unterhaltung am Tisch verlief überaus schleppend. Während Maggie Baxter stumm ihr Essen aß und das Treiben mit dem Ausdruck der Missbilligung verfolgte, tat ihr Mann alles Erdenkliche, um Helen in ein Gespräch zu verwickeln. Ihm war sehr daran gelegen, ihre Aufmerksamkeit von Lorenzo abzulenken, den Calypso mit den irrwitzigsten Verrenkungen von ihren körperlichen Reizen zu überzeugen suchte. Zu ihrer Genugtuung stellte Helen fest, dass er sich nach Kräften bemühte, seinen Blick in neutrale Regionen zu lenken.
Doch dann versuchte das Mädchen, Lorenzos Widerstand zu brechen, indem es die Hand über seinen Nacken gleiten ließ. Spontan beschloss Helen, dem Spuk ein Ende zu machen. Ohne eine Miene zu verziehen, beugte sie sich vor und flüsterte: “Wenn du nicht augenblicklich deine Hände von meinem Freund lässt, landest du im Pool.”
Calypso sah sie überrascht an, und eine Weile war sie außerstande, etwas zu erwidern. Als sie sich wieder gefangen hatte, ging sie um den Tisch herum zu ihrem Vater, um sich bei ihm auszuweinen.
“Was ist, mein Engel?”, fragte er und strich ihr übers Haar.
“Die Frau hat gedroht, mich in den Pool zu werfen, wenn ich Lorenzo nicht in Ruhe lasse!”, jammerte sie.
“Junger Mann”, sagte Dagwood energisch an Lorenzo gerichtet. “Ich brauche Sie hoffentlich nicht daran zu erinnern, was für Sie auf dem Spiel steht. Entweder Sie bringen Ihre Freundin zur Vernunft, oder Sie können das Geschäft vergessen.”
Lorenzo legte in aller Seelenruhe das Besteck nieder, bevor er wie in Zeitlupe aufstand. “Wissen Sie was, Mr. Baxter?”, sagte er endlich, und sein Lächeln wirkte wie befreit. “Stecken Sie sich Ihren Auftrag wer weiß wohin.”
Dagwood schnaubte vor Wut. Er war Widerworte offensichtlich nicht gewohnt, und schon gar nicht in dieser Deutlichkeit. Er forderte seine Familie auf, ihm unverzüglich zu folgen, und ging, ohne sich umzublicken und gefolgt von seiner Tochter, ins Hotel zurück. Einzig Maggie Dagwood verabschiedete sich mit einem anerkennenden Nicken, bevor auch sie verschwand.
“Was machen wir nun mit dem angebrochenen Abend?”, fragte Lorenzo.
“Wie wär’s mit Tanzen?”, schlug Helen vor. Auf der anderen Seite des Pools hatte eine Band zu spielen begonnen, und die ersten Paare befanden sich bereits auf der Tanzfläche. Lorenzo nahm Helen an die Hand und führte sie um das Schwimmbecken herum.
“Du hast dich benommen wie ein echter Kavalier”, bedankte sie sich, als sie sich im Takt der Musik wiegten. “Vielleicht stimmt das deinen Bruder milder, wenn er erfährt, dass du einer Frau zuliebe einen Auftrag im Wert von einer Million Dollar ausgeschlagen hast.”
“Mehr als mein Bruder beschäftigt mich im Moment die Frau”, erwiderte Lorenzo, der seinen Schalk wiedergefunden hatte. “Genauer gesagt, ihr Kleid.”
“Das ist kaum zu übersehen.” Helen war nicht entgangen, dass Lorenzos Blick auf ihrem Dekolleté ruhte. “Mit dem Kavalier scheint es doch nicht so weit her zu sein.”
“Wie würde sich ein Kavalier denn verhalten?”
“Er würde mich so fest an sich ziehen, dass er gar nicht in Versuchung käme.”
“Besser so?”
“Viel besser.”
Besser ja, aber auch gefährlich, dachte Helen, weil sie Lorenzos Nähe mehr genoss, als es sich mit ihren Vorsätzen vereinbaren ließ.
“Habe ich dir eigentlich schon gesagt, wie sehr ich mich freue, dass du hier bist?”, fragte Lorenzo unvermittelt, als hätte er ihre Qualen instinktiv erraten.
“Noch nicht”, erwiderte Helen, “aber bisher hattest du ja auch noch keine Gelegenheit dazu.”
“Wie lange kannst du bleiben?”
“Mein Rückflug ist für übermorgen gebucht”, antwortete sie wahrheitsgemäß. Dass sie den mit einem einzigen Anruf um einige Tage verschieben konnte, behielt sie jedoch vorsichtshalber für sich. “Und du?”
“Ich muss spätestens in einer Woche wieder auf Sizilien sein. Zum Rapport”, setzte er lächelnd hinzu.
Helen versuchte sich die tiefe Traurigkeit, die sich plötzlich einstellte, nicht anmerken zu lassen. Doch Lorenzo kannte sie mittlerweile besser, als ihr bewusst war.
“Ich bin ja nicht aus der Welt”, sagte er tröstend. “Eines Tages komme ich garantiert wieder. Außerdem kannst du mich doch in Palermo besuchen.”
“Das sollte ich besser bleiben lassen”, entgegnete sie
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