Heirate nie einen Italiener
Martellis abgesprochen und beschlossen hatten, sie vom ersten Moment an wie ein Familienmitglied zu behandeln. Was Angie dann sagte, war wenig dazu angetan, diesen Verdacht zu zerstreuen. “Eine gute Nachricht ist immer noch die beste Medizin für Baptista.”
“Welche gute Nachricht?”
“Ich verstehe ja, dass du noch nicht darüber sprechen willst”, erklärte Angie, “aber wir sind alle überglücklich, wie sich die Dinge entwickeln. Ehrlich gesagt rechne ich schon seit Lorenzos erster USA-Reise damit. Damals hat er mir sein Herz ausgeschüttet. Es hat ihn völlig aus der Bahn geworfen, dass du strikt abgelehnt hast, seine Frau zu werden.”
“W…wie bitte?”
“Unter uns gesagt schadet es ihm nicht, dass du ihn eine Weile hingehalten hast. Das war eine völlig neue Erfahrung für ihn. Umso mehr freue ich mich, dass ihr jetzt zusammen seid. Ich wusste vom ersten Moment an, dass du die Richtige für ihn bist.”
“Das muss ein Missverständnis sein”, platzte Helen heraus. “Ich habe Lorenzo nicht ‘hingehalten’, und ‘zusammen’ sind wir auch nicht. Ich bin nur mitgekommen, weil …”
Warum eigentlich? Warum war sie einem Mann um die halbe Welt gefolgt, wenn er ihr nicht wichtiger war als alles andere? Und hatte sie nicht insgeheim gewusst, welche Schlüsse seine Familie daraus ziehen würde?
Abgesehen von jenem Versprecher im
Five
war das Wort ‘Hochzeit’ nie zwischen ihnen gefallen, und um ihre Hand angehalten hatte Lorenzo schon gar nicht. Trotzdem ließ sich nicht bestreiten, dass durch ihre Entscheidung, ihn zu begleiten, die Frage im Grunde bereits entschieden war.
Renato riss Helen aus ihren Gedanken. “Meine Mutter möchte dich kennenlernen”, sagte er und führte sie ins Krankenzimmer.
Die alte weißhaarige Dame, die aufrecht im Bett saß, strahlte eine große Milde und Güte, doch eine nicht minder beeindruckende Entschlossenheit aus. Unter Lorenzos aufmunterndem Blick ging Helen zu ihr und reichte ihr die Hand.
“
Miu fighia”
, begrüßte Baptista Martelli sie mit dem sizilianischen Ausdruck für “meine Tochter”, und es dauerte ein wenig, bis Helen begriff, dass sie selbst für Signora Martelli bereits zur Familie gehörte.
“Guten Tag,
Signura.”
Ohne es beabsichtigt zu haben, erwiderte sie den Gruß auf Sizilianisch.
Baptista Martelli war sehr gerührt darüber, denn sie strich Helen zärtlich über die Wange. “Nenn mich doch Baptista”, sagte sie herzlich. “
Signura
klingt so entsetzlich unpersönlich aus dem Mund einer künftigen …”
“Du solltest dich jetzt ein wenig ausruhen, Mamma”, fiel Lorenzo ihr ins Wort, “und Helen wird das nach der langen Reise sicherlich auch tun wollen.”
“Du hast völlig recht, mein Junge”, stimmte Baptista ihm zu, bevor sie sich erneut an Helen wandte. “Vielleicht hat Lorenzo dir erzählt, dass ich bald meine Jugendliebe Federico heiraten werde. Jetzt, da du hier bist, ist mein Glück vollkommen, weil ich weiß, dass ich die Hochzeit im Kreis der
ganzen
Familie feiern darf.”
Helen gab den Versuch, etwas zu erwidern, umgehend wieder auf. Die Herzlichkeit, mit der sie aufgenommen wurde, überwältigte sie derart, dass sie das Krankenzimmer mit Tränen in den Augen verließ.
Baptista hatte Lorenzo gebeten, ihr noch eine Weile Gesellschaft zu leisten. Helen fuhr mit der restlichen Familie zur Villa der Martellis. Die Fahrt führte zunächst landeinwärts, bevor sich hinter einer Biegung der atemberaubende Blick auf die Küste auftat. Kurz darauf war das große Haus zu sehen, das sich treppenförmig auf einem Vorsprung direkt an der Steilküste erhob. Aus der Entfernung stach als Erstes das Blumenmeer aus Geranien, Jasmin, Klematis und Bougainvilleen ins Auge, das sich farbenprächtig über die Veranden und Terrassen ergoss.
Im Innern war die Villa nicht weniger beeindruckend, denn sie war ungewöhnlich luxuriös und geschmackvoll ausgestattet. Kostbare Wandmosaike zierten selbst die Korridore, und offene Treppenflure führten in die oberen Etagen.
“Ich musste mich auch erst daran gewöhnen”, gestand Heather, die Helen in ihr Zimmer brachte. “Inzwischen fehlt mir etwas, wenn ich eine Weile nicht hier bin.”
“Lebst du denn nicht ständig hier?”, fragte Helen verwundert.
“Renato und ich besitzen ein Landgut außerhalb von Palermo, wo wir den Sommer verbringen. Doch jetzt wollten wir in Baptistas Nähe sein. Außerdem steht die Geburt unseres Babys kurz bevor.”
Sie führte Helen in ein
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