Heiraten für Turnschuhträgerinnen
halbe Stunde später auf dem ausgezogenen Schlafsofa in der Veranda saßen. »Diese Scheiß-Modeindustrie ist einfach pervers. Deine Stylistinnen-Tussi fand das wahrscheinlich dekadent und schick, mit ihren Fashion-Freunden in so einer Ruine zu hausen.«
»Nanana«, schimpfte ich halbherzig und schmierte mir noch eine Scheibe Baguette. Wir hatten uns ein Glas Leberwurst aus dem Auto geholt und vom Buffet Brot und Messer geklaut, und der Barkeeper hatte keine Fragen gestellt, als wir um eine Flasche Wein und zwei Gläser gebeten hatten.
»Und was machen wir jetzt?«
»Essen, Wein austrinken, schlafen. Müssen ja morgen eh wieder zeitig los.«
»Jo hat gesagt, wir könnten uns am Frühstücksbuffet bedienen«, sagte ich.
»Muss das sein?«
»Wir können auch Leberwurst frühstücken, mit dem Löffel direkt aus dem Glas.«
Georgs Gesicht entspannte sich. »Das Zeug ist köstlich, nicht?«
Heute Morgen wurde ich mit einem Kuss geweckt. Ich knurrte ein bisschen, aber eigentlich nur pro forma, denn normalerweise ist es Georg, der knurrt, wenn ich versuche, ihn zu wecken. Er braucht morgens eine halbe Stunde, in der er sich in völliger Regungslosigkeit und mit geschlossenen Augen emotional auf das drohende Aufwachen einstellen kann. Ich hingegen bin in der Regel schlagartig wach – noch bevor der Wecker überhaupt richtig anfangen kann zu klingeln, bin ich topfit und will spielen. Das war schon so, als ich noch ein Kind war. Und es war auch heute so. Georg küsste mich sanft auf die Wange, und ich war sofort voll im Leben. Ich wollte ihn nur ein bisschen zappeln lassen. Zur Rache, dass er sonst meine Weckversuche knurrend ignoriert. Er küsste mich noch einmal.
»Hmmmmpf!«
»Aufstehen, mein Engel!«, säuselte er.
»Gnnhmmm!«, machte ich und drehte mich weg. Ich benahm mich, als sei ich er. Es fiel mir schwer, ernst zu bleiben.
»Na, komm schon, Lotte, es ist schon …«
Er drehte sich weg, ich hörte, wie er auf der Suche nach seinem Handy die Flasche Wein von gestern Abend umschmiss, sie kullerte sonst wo hin; ich dachte an mein neues T-Shirt, das neben dem Sofa lag, aber dann fiel mir ein, dass wir die Flasche ausgetrunken hatten. Ich horchte meinen Kopf nach Schmerzen ab, und tatsächlich, da war etwas. Der Anflug eines Katers.
»Scheiße! Schatz!«
»Was denn?«, fragte ich mit meiner Es-ist-mitten-in-der-Nacht-warum-musst-du-mich-eigentlich-immer-wecken-wenn-du-aufs-Klo-musst-Stimme.
»Es ist halb elf!«
Ich fuhr hoch. Oha. Wir hatten vor einer halben Stunde unseren Termin in Schloss Beetzow gehabt.
Zum Glück fanden wir trotz der gleichmäßigen Schneedecke, die alles bedeckte, sofort unser Auto. Zum Glück gelang es uns, es aus dem Tiefschnee herauszumanövrieren. Zum Glück hatte ich die Telefonnummer von Schloss Beetzow parat.
»Ja, Charlotte Michalski hier, liebe Frau Messmer, es tut uns furchtbar leid. Wir sind einfach … Ob wir den Termin … ja, gern, also, 17 Uhr dann, nein, es wird garantiert nicht später, nein, also, wenn Sie nur bis 17 Uhr 30 da sind, also, vielen Dank, und noch mal Verzeihung!«
Ich sah Georg an, der strahlte und sagte: »Immerhin haben wir so das Frühstück verpasst!« Dann setzte erden Blinker und folgte den Schildern mit der Aufschrift: McDrive.
Normalerweise wehre ich mich mit Händen und Füßen, zur Not auch mit den Zähnen, wenn Georg schon morgens zu McDonald’s will. Ich finde, dass die meisten Sachen auf der Frühstückskarte so schmecken, als hätte man sie vorher in der Spüle eingeweicht. Georg hingegen, der sich eigentlich selbst für die Sandwiches bei Starbucks zu fein ist, pflegt eine heimliche Leidenschaft für den McMuffin. Bäh. Aber weil er gestern Abend schon so gelitten hatte, wollte ich an diesem Morgen nicht unsolidarisch sein. Loyalität gilt schließlich als die Kardinalstugend in einer glücklichen Ehe.
»Ich nehm auch einen!«, sagte ich und lächelte Georg liebevoll an.
»Vier McMuffin Egg and Bacon bitte und dazu zwei Cappuccino.«
Es war himmlisch zuzusehen, wie Georg ein Rührei-Rundstück nach dem anderen verdrückte. Er grub seine Kiefer in die blassbraune Masse, leckte sich die Hände, schmatzte. Ich hielt ihm meinen angeknabberten McMuffin hin, er nahm ihn, ohne zu zögern.
»Aber du musst doch auch was frühstücken«, sagte er kauend. Ich dachte an die Ersatztüte Karamellbonbons im Handschuhfach, die es zur Not auch tun würde, und winkte ab. Georg suchte die fettigen Papierverpackungen aus der Fahrerkabine
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