Heiraten für Turnschuhträgerinnen
Sommerkleid Chucks anziehen! Und überhaupt trage ich Sommerkleider nur dann, wenn ich einmal im Jahr einen Girly-Anfall kriege und mich besonders liebreizend fühle, ansonsten trage ich Jeans! Ich bin nicht Lala, sondern …
»Charlotte Michalski?«
»Charlotte, ich bin’s, Kristin. Du, ich bin gerade in der Nähe und wollte mal hören, ob du zu Hause bist?«
»Klar, komm vorbei!«
Ausgerechnet Kristin. Jetzt. Ich will gerade noch sämtliches Beweismaterial vom Küchentisch verschwinden lassen,da klingelt es bereits. Ich drücke den Türöffner und wenige Sekunden später steht sie in der Tür. Sie schwitzt nicht mal. Das muss daher kommen, dass Kristin sogar im Winter mit dem Fahrrad unterwegs ist. Wenn ich hingegen die Treppe zu uns in den vierten Stock hochgelaufen bin, geht es mir, wie es Kate Moss nach einem 900-Gramm-Steak mit Kräuterbutter und Pommes gehen muss: Ich bin fix und fertig. Kristin hingegen lächelt.
Mooooment.
Kristin lächelt nie!
Außer …
»Was verschafft mir die Ehre, Kristin?«
»Och, nüx. Wollte nur mal gucken, wie’s dir geht!«
Sie läuft an mir vorbei und direkt in die Küche. In die Küche, wo der Stapel mit den Brautmagazinen steht. Ich will sie einholen, aber …
»Kochst du uns einen Kaffee?«, fragt sie und setzt sich auf den Platz, auf dem sie immer sitzt.
Der Brautpostillen-Stapel liegt direkt vor ihrer Nase, aber sie beachtet ihn nicht. Sie lächelt, packt ihren Tabak aus und fängt an, sich über dem Titelbild von Hochzeit eine Fluppe zu drehen. Ich schalte die Kaffeemaschine an, stopfe Pulver in das Sieb und zapfe einen Espresso. Als ich ihr die Tasse und den Zucker hinstelle, nutze ich die Gelegenheit und lasse die Magazine unauffällig zwischen den Kochbüchern im Regal verschwinden.
»Jetzt schieß schon los«, sage ich, nachdem ich zur Tarnung der Aktion noch ein paar herumstehende Tassen vom Tisch zur Spüle getragen habe.
»Womit?«, fragt sie und sieht einem Rauchkringel hinterher, den sie in die Luft geblasen hat. »Kann ich vielleicht etwas Milch bekommen?«
»Wie bitte? Mit dir stimmt doch was nicht!«
»Quatsch. Hast du dir schon den neuen Film von Christian Petzold angeguckt?«
Ich sehe Kristin an. Eigentlich weiß sie, dass ich nie, nie, nie in Filme von Christian Petzold gehe. Ich hasse Filme der Berliner Schule, vor allem, weil bei den Dialogen zwischen jedem Satz mehrere Minuten vergehen und die Darsteller immerzu dreinschauen, als hätten sie gerade die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs gekriegt. Ich sehe sie an, aber sie merkt nichts.
»Ich war gestern Abend drin, ein wirklich beachtlicher Film, unglaublich suggestive Kameraführung, wahnsinnig intensives Spiel.«
Wahnsinnig intensives Spiel. Haha. Wahrscheinlich haben die Darsteller wieder den ganzen Film lang mit Zombiestimmen Sachen gesagt wie: »Mein Vater stirbt. Wir müssen nachher noch Brot holen.«
»Wirklich?«, sage ich.
»Ja, Timothy fand sogar, dass es sein bislang bester Film ist.«
»Timothy.«
»Ja, wir waren zusammen drin.«
»Wer ist Timothy?«
»Ein neuer Kollege.«
»Ein neuer Kollege? «
»Genau.«
»Kristin«, sage ich mit beschwörender Stimme.
»Was denn!«, sagt sie, aber hinter ihrem entrüsteten Gesichtsausdruck erahne ich ein spitzbübisches Grinsen. Kristin hatte seit ein paar Jahren keine Beziehung mehr, allenfalls hin und wieder eine akute Hemeralopie, also eine plötzliche Nachtblindheit, die sich meist nach ein paar Wochen wieder legte, wenn sie ihren Fund eine Weile bei Tageslicht betrachten konnte. Sie findet, dass MännerDreck machen, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne.
»Kristin, du erzählst mir doch, wenn sich etwas ereignet in deinem Leben, oder?«
»Klar«, sagt sie. »Und, was gibt’s bei dir?«
Einen Augenblick lang ringe ich mit mir, dann denke ich, was soll’s, immerhin ist Kristin meine zweite beste Freundin. Ich gehe zum Regal, hole, alle Schuld Lala in die Schuhe schiebend, die Brautmagazine wieder raus und fange an, Kristin mein Leid zu klagen. Sie beginnt, mit spitzen Fingern in einer Ausgabe von Braut & Bräutigam zu blättern, nicht ohne dabei ein Gesicht zu machen, als picke sie tote Fliegen aus ihrem geliebten Quinoa-Müsli. Ich sitze schweigend neben ihr und warte auf eine Reaktion. Nach ein paar Minuten klappt sie das Magazin entschlossen wieder zu.
»Charlotte!«, sagt sie, und ich zucke zusammen.
»Hm?«
»So einen Buttercreme-Fummel kannst du nicht anziehen.«
»Ja, aber was dann?«
»Kauf dir einfach
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