Heiraten für Turnschuhträgerinnen
hier!«
Ich sehe eine schwanengleiche Frau, die an einem Fenster lehnt. Ihre Brüste blitzen keck aus einem perlenverzierten Hartschalenmieder, das so militaristisch aussieht, dass man denkt, man könne damit unversehrt das Bundeskanzleramt stürmen. Der Rest ihres Körpers wird von Unmengen Tüll umhüllt und sieht aus wie ein McSundae ohne Soße. Na gut, in Wirklichkeit sieht das Kleid ganz hübsch aus. Nur: Wenn ich das perfekt geschminkte Elfengesicht gegen meines austausche, sehe ich nur eine als Schlossgespenst verkleidete Putte.
»So einen Buttercreme-Fummel kann ich auf gar keinen Fall anziehen!«, sage ich.
»Warum nicht?«
»Weil!«
»Ja, aber was dann, Lotte?«, fragt Lala und macht ein Gesicht, als hätte ich ihr vorgeschlagen, Nacktschnecken essen zu gehen. »Willst du vielleicht in einem schicken Hosenanzug zum Altar marschieren?«
Ich erbleiche. »Hast du Kristin getroffen?«
»Gerade eben in der U-Bahn. Ich mag sie ja echt gern, aber als Style-Beraterin scheidet sie aus.«
Ich atme tief durch und hole mir noch ein Stück Streusel. Nervennahrung.
»Einen Hosenanzug will ich natürlich nicht «, sage ich und setze mich wieder. »Sehe ich etwa aus wie Renate Künast?«
»Aber was dann?«, fragt Lala und lehnt sich in den Küchenstuhl zurück.
»Keine Ahnung«, sage ich und gebe noch einen Löffel Honig in meinen Tee. »Irgendwas wird schon noch um die Ecke kommen.«
»Um die Ecke, haha. Meine Schwester hatte ihr Kleid schon ein halbes Jahr vor der Hochzeit. Und ein Jahr vorher hat sie angefangen zu suchen. Ich glaube, sie war in jedem gottverdammten Brautmodenladen zwischen Leipzig und Rostock, bis sie es gefunden hatte.«
»Lala, die Sache ist die: Ich will gar kein Hochzeitskleid! Weder eines mit Reifrock noch eines ohne. Ich will ein schlichtes, weißes Kleid, das nicht billig wirkt, idealerweise eines, das maximal wadenlang ist und das ich später noch mal anziehen kann.«
»Genau das war ihr Problem.«
»Und, was hat sie am Ende gemacht?«
Lala verhakt ihre Zeigefinger miteinander, eine sonderbare Geste, ich habe keine Ahnung, was sie meint.
»Hä?«
Sie macht die Geste noch einmal deutlicher, verdreht die Hände: zwei ineinandergeschlungene C sollen das wohl …
»Chanel?«, quietsche ich entsetzt.
Lala nickt, ein ernstes Nicken.
»Zweitausend Euro, wenn mich nicht alles täuscht, zweitausend Euro für ein schlichtes, nicht billig wirkendes Kleidchen. Sie hat dann versucht, das bei den Schuhen wieder reinzuholen, was ein Fehler war. Kunstlackleder im Hochsommer, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Sie hat eine Fußschweißschleppe hinter sich hergezogen?«
»Die Schuhe haben bei jedem Schritt ein platschendes Geräusch gemacht.«
»Oh.«
»Und das in einer Kirche mit Tonnengewölbe.«
»Oh, oh.«
»Als sie vor den Priester getreten ist, hat man das bis in die letzte Reihe gehört.«
»Wie peinlich.«
»O ja.«
Lala sieht mich so eindringlich an, dass ich es nicht mehr aushalte. Ich springe auf und wische den Ernst der Lage mit einer Handbewegung beiseite.
»Ach, deine Schwester ist aber auch kompliziert. Ich werd schon was finden. Noch ein Stück Kuchen?«
Als Lala weg ist, klemme ich mich vors Internet. Es soll in ganz Deutschland kein schlichtes, kurzes Kleid geben? Das ist ja wohl zum Lachen. »Brautkleid« gebe ich bei Google ein. 480000 Treffer. Wer sagt’s denn.
Ich öffne den ersten.
Ich öffne den zweiten.
Und den dritten.
Ich stöhne auf.
Nach ungefähr drei Stunden Klicken kenne ich meine Optionen. Es gibt Brautkleider im Empire-Schnitt, der im normalen Leben weniger nobel »Babydoll« heißt und ungefähr so fällt wie ein BH mit angenähter Rundum-Gardine. Es gibt Kleider in A-Form, die freundlich den Hüftspeck kaschieren. Es gibt Duchesse-Kleider mit Glockenrock und Korsage, in denen das Dekolleté so weit hochgeschoben wird, dass es an eine Obstauslage erinnert. Es gibt Meerjungfrauen-Kleider, in denen man wie eine Sanduhr aussieht – vorausgesetzt, man bringt den Sanduhrkörper mit. Ich würde wahrscheinlich eher einer missratenen Vase aus dem Töpferunterricht ähneln. Oder einer Skulptur von Henry Moore: Beulen und Auswüchse, wohin man blickt. Und dann gibt es XXXL-Brautkleider, in denen sogar die sonst eigentlich ganz adrett aufgemachten Übergrößenmodels wie Marianne Sägebrecht aussehen.
Es gibt Mittelalter-Brautkleider, Brautdirndl, Vintage-Brautkleider und Online-Foren für echte Secondhand-Kleider. Ferner Modelinien für
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