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Heiraten für Turnschuhträgerinnen

Heiraten für Turnschuhträgerinnen

Titel: Heiraten für Turnschuhträgerinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Filippa Bluhm
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fasse mir aber sicherheitshalber an den Bauch, der so flach ist wie das letzte Mal mit siebzehn. Doch die Stimme gibt nicht auf: Hast du auch alles eingepackt? Wo sind eigentlich die Chloé-Pumps? Scheiße, die Pumps! Die sind … in dem Karton neben dem Schrank, alles in Ordnung. Schluss jetzt, verdammt!
    Wütend schnippe ich die Zigarette weg. Um mich abzulenken, laufe ich zu der Stelle, an der wir gestern Nacht unsere Väter gefunden haben. Ich gehe ein Stück weit ins Gebüsch, vorsichtig natürlich. Seit zwei Wochen gebe ich mir alle Mühe, mir keine Schürfwunden oder Hämatome zuzulegen – das Problem, dass ich immer, immer, immer blaue Flecken an den Schenkeln habe, habe ich nicht bedacht, als ich verzweifelt nach einem kurzen Kleid gesucht habe. Mit seltsam verdrehten Beinen starre ich in die Vegetation und erkenne plötzlich das überwucherte Loch, in das mein Vater gefallen ist.
    Aus der Ferne dieses Morgens kommt mir der gestrige Abend vor wie ein Film, den ich vor langer Zeit gesehen habe. Die Autopanne. Die späte Ankunft. Unsere betrunkenen Väter.
    Aber jetzt ist jetzt und du bist hier, denke ich, und in sieben Stunden wird Georg dein Mann sein, und wenn du auf allen vieren durch die Kirche kriechst.
    Irgendwie beruhigt mich der Gedanke, und ganz kurz denke ich daran, zurück ins Haus zu gehen, aber dann überlege ich es mir anders, wanke müde zum See und lasse mich auf eine Bank sinken.
    Der See schwappt leise gegen das Ufer. Irgendwo zwitschert ein Vöglein. Mann, bin ich müde.
    »Lotte?«
    Huch? Ich muss eingenickt sein. Jemand fasst mich an die Schulter, rüttelt an mir.
    »Lotte!«
    »Hm?«
    Verschlafen streiche ich mir über das Gesicht, blinzle ins Licht, versuche mich aufzurichten, aber jeder Knochen tut mir weh.
    »Wie spät ist es?«, frage ich, als ich es geschafft habe,meinen Körper in eine aufrechte Position zu manövrieren.
    »Halb sieben! In ein paar Stunden heiratest du!«
    Zunächst bemerke ich nur meine Rückenschmerzen, verdammt, tut das weh. Ich sehe den See, die Sonne, die Bäume, die sich tief übers Wasser beugen.
    Dann sehe ich das Gesicht meines Vaters.
    »O Gott, Papa! Wie siehst du denn aus!«
    Mein Vater verzieht den Mund, er versucht wohl zu grinsen, aber es sieht eher so aus, als würde ihm jemand die Fingernägel mit der Kneifzange ausreißen. Die vier Pflaster auf Kinn, Wange und Stirn kenne ich schon, aber …
    »Dein rechtes Auge ist ja ganz … blau! «
    Blau ist untertrieben. Das Auge ist violett und völlig zugeschwollen, was im Kontrast zu den orangefarbenen Jodflecken besonders fies aussieht. Als sei er in eine ausgestreckte Faust gerannt, mit Anlauf.
    Papa hebt entschuldigend die Hände, dann stöhnt er. Die Schnapsfahne, die mir dabei entgegenschlägt, ist so gewaltig, dass sie bis zur Ostsee reichen würde, ginge nur ein kleines bisschen Wind.
    »Warum bist du schon wach?«, frage ich.
    »Ich konnte nicht mehr schlafen. Ist manchmal so, wenn ich zu viel getrunken habe«, murmelt er und lässt sich neben mich auf die Bank sinken. Normalerweise habe ich wenig Erbarmen mit Menschen, die einen Kater haben, aber mein Vater sieht so jämmerlich aus in seinem Pyjama, dass ich sofort Mitleid bekomme. Ich will ihn tröstend in den Arm nehmen, aber kaum, dass ich ihn nur an der Schulter berühre, stöhnt er auf.
    »Au!«, mache ich, obwohl es doch ihm wehtut. »Entschuldige! O weh!«
    »Schon gut«, sagt er und nimmt meine Hand. Ein paarMinuten sitzen wir einfach nur nebeneinander und starren auf den See, während ich mit unauffälligen Beckenbewegungen versuche, den Krampf im unteren Rücken zu lösen.
    »Und du, Lottilein? Bist du nervös?«
    Ich schüttle den Kopf. Dann merke ich, dass das gelogen war, denn plötzlich steigen Tränen in mir auf, Tränen der Aufregung, der Müdigkeit, des Glücks. Und der Angst, es in den Chloé-Pumps nicht durch die Kirche zu schaffen. Gott, wenn mir vorher jemand gesagt hätte, was für eine emotionale Loopingfahrt Heiraten ist, hätte ich’s wahrscheinlich gelassen.
    Nein, hätte ich nicht.
    Ich schüttle noch einmal den Kopf, aber diesmal in der Hoffnung, dass so endlich der blöde Heulkrampf verschwindet, dann atme ich tief durch und sage aus tiefster Überzeugung: »Ich bin so froh, dass du mich zum Altar führen wirst!«
    Mein Vater versucht ein zaghaftes Lächeln und sieht für einen kurzen Augenblick nicht mehr wie ein Neandertaler aus, sondern schon fast wieder wie ein Mensch. In diesem Moment bin ich ganz, ganz fest

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