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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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großen Listen marschierten die Offiziere auf, wieder wurde das ganze Bahngelände von Militär abgeriegelt, Befehle dröhnten durch die Wagenreihen.
    »Alles aus den Wagen! Antreten! Abzählen! Wer aufgerufen wird, links raus! Alles zum Appell!«
    Der Zug leerte sich. Haufen von Schädeln staken im Schnee wie Pflastersteine. Nur die Tepluschka Kolkas stieg nicht aus … hier lagen plötzlich sechzig Männer auf den Brettern und stöhnten, verdrehten die Augen und trugen rote kleine Pickel im Gesicht. Es war alles sehr gut organisiert, und man soll nicht glauben, wie täuschend ähnlich man mit Rotstift ansteckende Scharlachflecken malen kann.
    Zwei Offiziere blickten in den Waggon, stutzten und sprangen sofort zurück, als Kolka zur Tür schwankte, übersät mit Flecken. »Eine Epidemie!« lallte Kolka und stützte sich auf Pjetkin, der als einziger – er mußte ja gesund sein, um als Arzt helfen zu können – von der Krankheit nicht gezeichnet war. »Der Bruder Doktor hat sie erkannt. Was ist es … sag es schon … was?«
    »Eine akute Scarlatina«, rief Pjetkin. »Vorsicht, Genossen! Es ist eine schwere Scarlatina fulminans. Eine Infektion kann zum Tode führen.«
    »Wir brauchen Hilfe!« brüllte Kolka heiser. »Gebt unserem Doktor die nötige Medizin. Hilfe! Habt ihr's gehört, ihr Bogenpisser? Wir haben eine Bumsifans … Nicht näher kommen, Brüder, wenn euch euer Leben lieb ist!«
    Die Offiziere wichen weiter zurück, und als Pjetkin in den Schnee sprang, wagte keiner, ihn anzufassen. Die Nachricht lief sofort von Mund zu Mund … vom Sanitätswagen I näherte sich ein Trupp anderer Offiziere. Drei Ärzte, die mit ihnen kamen, grüßten Pjetkin sogar wie einen Kollegen.
    »Stimmt es?« fragte ein Kapitänarzt knapp. »Scharlach?«
    »Einwandfrei. Der ganze Wagen.«
    »Danke.« Der Kapitänarzt winkte. »Türen schließen und isolieren!«
    »Wollen Sie sich die Kranken nicht ansehen?« fragte Pjetkin verblüfft.
    »Ihr Wort genügt. Kommen Sie mit, wir geben Ihnen reichlich Penicillin. Noch hat es Sie nicht gepackt.«
    Pjetkin blickte zurück zu seinem Wagen. Die Tür wurde zugeschoben … das letzte, was er sah, war Kolka. Er grinste und winkte ihm zu. Dann ging Pjetkin mit den Ärzten zum Lazarettwagen des Männerzuges. Soldaten und Offiziere wichen ihm aus wie einem Aussätzigen.
    Stundenlang warteten die neunundfünfzig Mann im Wagen 34 auf die Rückkehr ihres Doktors. Sie hörten, wie draußen der Riegel mit einem Schloß gesichert wurde, wie etwas an der Wand kratzte, dann war wieder Stille.
    »Der Plan war idiotisch«, sagte jemand in der Dunkelheit des Waggons. »Sie werden uns wie stinkende Ratten behandeln.«
    »Warum kommt denn keiner?«
    »Wo bleibt Pjetkin? Er hat uns verraten!«
    »Aufmachen! Aufmachen!«
    Am Abend ging ein Rucken durch den Wagen. Dann rollten langsam die Räder.
    »Aha!« rief Kolka. »Jetzt klappt die Organisation. Wir werden nach hinten umrangiert. Und gleich kommt Pjetkin zurück, ich wette mit euch. Alles braucht seine Zeit, und die vom Militär denken sowieso langsamer als normale Bürger.«
    Aber Kolka irrte. Nach ein paar Minuten hörte das Räderrollen auf, es gab keinen Aufschlag wie beim Ankoppeln, wo die Puffer gegeneinanderstoßen … der Wagen rumpelte noch eine kurze Zeit über die Gleise und stand dann, vom Eigengewicht gebremst.
    Kolka zog die Schultern hoch. Er fror plötzlich trotz der Hitze aus dem Öfchen. Im Widerschein des flackernden Feuers schienen die verzerrten Gesichter der anderen auf ihn zuzuschweben.
    »Sie hängen uns ab …«, sagte einer von der oberen Bank. »Sie lassen uns einfach stehen. Großer Gott, sie schieben uns weg zum Verfaulen!«
    Das wirkte wie ein Signal. Eine Flut von Leibern prallte gegen die Tür und hieb mit Fäusten und Füßen gegen das Holz. Mit aufgerissenen Mündern, nacktes Entsetzen in den Augen, brüllten sie gegen die Bretter.
    »Aufmachen! Wir sind nicht krank! Aufmachen! Hilfe! Hilfe! Erbarmen, Brüderchen. Wir sind alle gesund … gesund … gesund …«
    Niemand kümmerte sich darum. Allein, weit weg von dem Zug, stand der Wagen auf einem einsamen Nebengleis. An seiner Tür klebte ein großes, schnell gemaltes Plakat: ›Vorsicht Infektionsgefahr!‹
    Ein Schild, so sicher schließend wie ein Sargdeckel. Bis zehn Uhr abends trommelten sie mit Fäusten und Knien gegen die Tür, rannten in Gruppen dagegen und versuchten, sie mit ihren Schultern aufzusprengen. In ihrer Verzweiflung leerten sie den Ofen und legten

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