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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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das Feuer an die Wagenwand. Aber der Eismantel von draußen war stärker als von innen die zaghafte Flamme … sie kohlte nur das Holz an und verpestete die Luft mit ätzendem Rauch.
    Um elf Uhr töteten sie Kolka, den Mörder. Vier Kriminelle und ein Politischer griffen gleichzeitig zu, würgten ihn, schlugen ihm die Fäuste gegen die Schläfen und traten ihm in den Unterleib. Kolka brüllte fürchterlich, bis der Schmerz zu groß wurde und seine Stimme sich überschlug. Dann starb er zwischen zehn Händen, und man hieb ihm zur Sicherheit noch den Schädel viermal auf den eisernen Ofen.
    Um drei Uhr gab sich ein heimlicher Priester zu erkennen. Plötzlich stand er mitten im Wagen, legte eine Stola aus Kreppapier um den Hals und segnete die vom Schreien und Toben Ermatteten.
    Durch die Ritzen zog der tötende Frost. Der Ofen war zertrümmert, das Feuer verglommen, und sie wußten, daß sich keiner mehr um den weggeschobenen Wagen kümmern würde. Heute nicht, morgen nicht … dann war es auch nicht mehr nötig, denn Eisblöcke infizieren nicht mehr …
    Gegen Morgen hörten sie das Pfeifsignal der Lokomotive, die Schienen zitterten. Der Zug der Verbannten fuhr weiter. Der heimliche Pfarrer kniete in der Mitte des Wagens. Um ihn herum lagen siebenundfünfzig Menschen, die langsam zu Eis erstarrten. Vier Mann arbeiteten mit Stücken des zerschlagenen eisernen Ofens und versuchten, den Wagenboden zu durchstoßen. Es war gutes, altes zaristisches Holz, aus den Wäldern der Taiga, gefällt von Verbannten, zu Brettern geschnitten von Verbannten, zusammengebaut von Verbannten. Wagen für die Ewigkeit, die man in Sibirien kennenlernt.
    »Gott sei uns gnädig –«, sagte der Priester leise mit bebender Stimme. »Und vergib uns unsere Sünden, so schwer sie auch waren … wir haben sie gesühnt, Herr im Himmel –«
    Erst nach vier Tagen wurde der Waggon geöffnet …

S ECHSUNDZWANZIGSTES K APITEL
    Wer die Weite der Taiga erkennen will, der fahre einmal von Kasakstan bis zum Eismeer. Oder vom Ural bis zum Kap Deschnew. Wenn er dann noch sagt, er habe irgendwo Gewaltigeres erlebt, den darf man ohne Reue einen Lügner nennen. Sibirien, das ist nicht erklärbar. Sibirien ist einfach Sibirien … eine Urgewalt an Schönheit und eine Urgewalt an Entsetzen.
    Vier Wochen ratterte der lange Güterzug durch die Taiga. Oft hielt er zwei Tage, oder drei Tage, oder sogar fünf Tage irgendwo an einer einsamen Station, die Wagen wurden gesäubert, die Abflußröhrchen enteist, neues Holz in die Wagen geworfen, die Toten gezählt und in einen Sonderwagen umgeladen. Man mußte sie mitnehmen, damit die Transportlisten stimmten. Es mußten in Workuta soviel Menschen abgeliefert werden, wie man übernommen hatte. Ob Lebende oder Tote, das war nicht wichtig.
    Auf jeder Station sahen sich Dunja und Igor, warfen sich heimliche Blicke zu und kamen im Wagen des Sekretärs Ulanow zusammen.
    In der dritten Woche geschah es dann, daß Markos Katastrophenplan scheiterte … es gab wirklich einen Achsenbruch und vier Wagen sprangen aus den Schienen. Das Geschrei war groß, man klagte Marko an, er habe sein berühmtes Gehör verloren. Wie dem auch sei, es war ein Aufenthalt von vier Tagen – der Vorsteher der nächsten Station, der Flecken Marlinkowka war vierzig Werst entfernt, sollte einen Reparaturwagen schicken, was ihn zur Verzweiflung brachte, den auch dieser Wagen war nicht einsatzfähig. – In diesen vier Tagen zog Sadowjew auf die Jagd und erkundete Marko die Möglichkeiten einer Flucht. Die Idee war Sadowjew schon lange gekommen. Spätestens an dem Tag, an dem er zum fünftenmal einen wäßrigen Gerstenbrei als Mittagessen vom Küchenwagen erhielt, einen Brei, den man für die Begleitmannschaften sogar noch durch ein bißchen ausgelassenes Schmalz gewürzt hatte, während die Häftlinge ihn unveredelt herunterschlangen, war seine Geduld zu Ende.
    »Welch ein Fraß!« schrie er auf seinem Kohlenwagen herum. »Wo soll man die Kraft hernehmen, die Schaufel ordentlich zu schwingen? Schluß, Brüder! Ich gehe auf die Jagd und hole uns einen Fetzen Fleisch!«
    »Auf die Jagd will er gehen!« brüllte der Heizer und lachte dröhnend. »Womit denn? Glaubst du, ein Soldat leiht dir sein Gewehr? Willst du mit den Händen jagen, he?«
    »Wir haben am Amur Erfahrung darin.« Sadowjew winkte stolz ab. »Wenn ihr mir etwas Draht besorgt, und wenn wir irgendwo zwei Tage Aufenthalt haben, dann lege ich euch einen Braten vor die Füße.«
    Der Draht war

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