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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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regelmäßiger. Über dem Thrombus flutete jetzt frisches Blut in die Herzkammer, die verarmten feinen Blutgefäße blähten sich wieder.
    »Puls regelmäßiger«, meldete der Narkotiseur. Im Oszillographen zuckten die Herzströme höher.
    »Aufpassen!« Pjetkin atmete tief durch. Der Schnitt. Fünfmal ist es nur gelungen, seit 1907! In einem ganzen Menschenalter nur fünfmal!
    Pjetkin durchtrennte die Ader. Das Blut schoß in hohem Bogen über seine Hände, der Sauger röchelte, Dr. Samsolow klemmte ab … das war der Augenblick der Wahrheit, der Schnelligkeit, des Glücks.
    Mit der Kornzange fuhr Pjetkin in den Hauptstamm und die Verzweigung. Er faßte den Thrombus, zog daran, langsam glitt er aus der Arterie, ein schwarzroter, zehn Zentimeter langer, keilförmiger Blutklumpen, den keine Antikoagulatien mehr aufgelöst hätten. Der Tod in der Gestalt geronnenen Blutes … als er in die Emailleschale klatschte, wie ein ekliger Auswurf, war er so lächerlich, daß es unbegreiflich wurde.
    »Aspirator!« sagte Pjetkin mit belegter Stimme. »Schnell!«
    Das Saugrohr des Aspirators wurde in die Arterie geschoben. Durch das gläserne Kontrollstück sah man, wie die letzten kleinen Blutklümpchen aus den Verzweigungen wegflitzten, geronnene Körnchen, die sich zu neuem Tod verdichten konnten. Pjetkin zog das Rohr zurück. Frisches Blut aus der Konserve strömte sofort hinterher, die Blutzirkulation konnte wieder normal verlaufen. Dr. Nurajew klammerte sofort die Arterie ab, die Blutung stand, die letzte kunstvolle Operationsphase begann: Die Arteriennaht mit feinster Seide. Pjetkin nähte so vollendet, daß bei einer Probelösung der Klemmen keine Sickerblutung entstand.
    Erschöpft blieb er nach dieser Naht am Tisch stehen, während Dr. Samsolow und Dr. Nurajew mit der Schließung des Thorax begannen. Dr. Schelkowskij näherte sich Marianka Dussowa mit der Schale, in dem der lange Thrombus lag. Ein besiegter Tod.
    »Ich habe noch nie so etwas gesehen«, sagte er mit bebender Stimme. »Noch nie. Diese Hände von Igor Antonowitsch … man sollte sie küssen …«
    Die Dussowa starrte auf den Blutklumpen. Oberst Baranurian schluckte mehrmals, ihm wurde schlecht, aber er war Soldat und beherrschte sich. Ja, er konnte sogar sagen: »Verloren, Marianka Jefimowna.«
    »Es gibt auch einen postoperativen Exitus.«
    »Glauben Sie noch daran? Oder besser: Hoffen Sie noch darauf?«
    »Ich hasse sein Genie.«
    »Und ich möchte es anbeten. Kommen Sie, trinken wir eine ganze Flasche leer …«
    Marianka erhob sich. Vom OP-Tisch blickte Pjetkin zu ihnen hinüber. Wieder trafen sich sein und Mariankas Blick, und es war, als zerschellte etwas in ihr. Sie senkte den Kopf und weinte plötzlich. Baranurian zog sie an der Hand aus dem OP heraus wie ein unartiges Kind.
    Erst in seinem Zimmer sprach die Dussowa wieder, und ihre Augen bekamen neuen Glanz.
    »Ich habe einen Trost«, sagte sie. »Ich werde meine Einsamkeit mit einem Triumph auffüllen: Er muß allein nach Deutschland gehen. Dunja wird er nie wiedersehen. So regelt sich alles doch noch: Es gibt keine Sieger und keine Besiegte … wir sind alle nur Opfer –«
    In der Nacht zwang sie Pjetkin zur Liebe, bis er erschöpft in ihren Armen einschlief, als falle er in Ohnmacht.
    Am nächsten Morgen lebte Jakow Andrejewitsch Starobin noch immer. Sein Herz schlug stark, und das Blut strömte sauerstoffreich und heilend durch seinen häßlichen Körper.

V IERZIGSTES K APITEL
    Wunder sprechen sich schnell herum, und noch schneller glaubt man sie, wenn man am Rande der Hölle lebt. Marko war es, der die Bestätigung zur Fleischerei brachte. Von dort flog sie wie Strohfeuer durchs ganze Lager: Dr. Pjetkin hat den Mann aus Moskau in letzter Sekunde gerettet. Eine Operation, die kaum einer gewagt hätte.
    Die Sträflinge verstanden wohl diese medizinische Sensation, aber sie begriffen nicht, warum Dr. Pjetkin gerade an diesem Mann eine solche Tat vollbracht hatte. Menschen wie Starobin ließ man sterben … man dezimierte damit die Teufel. Und nun kam dieser Pjetkin und rettete ihn, wo er schon so gut wie tot war. Das war ein Fehler … nicht als Arzt, sondern als Sträfling. In den Baracken entstanden erregte Diskussionen. Thema: Was ist Dr. Pjetkin? Einer von uns – oder bloß ein Arzt? Bloß … das hieß: Er denkt nur an seine Medizin. Seine Welt ist nur die Medizin. Sein ganzes Atmen ist nur die Medizin. Ganz gleich, wo er auch ist … er ist immer nur Arzt. Er wird nie ein normaler

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