Heiß wie der Steppenwind
Tagen.«
»Und ich bin gesund?«
»Völlig. Bis auf eine Kleinigkeit.«
»Aha! Also doch eine Hintertür! Wie lange kann ich noch leben?«
»Du kannst hundert Jahre werden, Njelep. Nur dreierlei darfst du nicht: Nicht zu viel saufen –«
»Ich habe das nie getan.«
»Keine wilden Aufregungen –«
»Ein dämlicher Rat für einen sowjetischen Beamten, der die Besserungslager kontrolliert.«
»Und keine unblutigen Unfälle.«
Starobin starrte Pjetkin entgeistert an. »Jetzt hast du einen getrunken, Freundchen.«
»Laß dir das erklären, Jakow Andrejewitsch. Du neigst zu Thrombenbildung durch irgendwelche nichtigen Anlässe. Wenn du hinfällst und bekommst einen blauen Fleck, wenn du dich irgendwo stößt, wenn du stolperst oder bei Glatteis ausrutschst … in deinem Körper kann sich dann wieder ein Blutpfropfen bilden, der eine Ader verstopft. Es gibt Menschen, die neigen zu Thrombenbildung. Du bist einer von ihnen. Hat dir das noch nie ein Arzt gesagt?«
»Nein.« Starobin saß betroffen auf seinem Bett. »So also ist das? Und keiner warnt mich! Da muß ich nach Workuta kommen, zu diesem verdammten Igor Antonowitsch, um mir sagen zu lassen, daß ich mich benehmen muß wie ein dünnes Eichen. Brüderchen, ich werde meinen Hausarzt in Moskau einen Idioten nennen.« Er trank nachdenklich seinen Fruchtsaft, von dem eine Kiste aus dem Zentralmagazin geschickt worden war. »Sonst kann mir nichts passieren?«
»Du kannst unter ein Auto kommen.«
»Mit meinem Herzen, meine ich.«
»Dein Herz ist gesund. Du hast nie etwas am Herzen gehabt.«
Starobin ging im Zimmer hin und her. Seine Häßlichkeit war erschütternd. »Willst du darüber im ›Sowjetischen Chirurgischen Zentralblatt‹ schreiben?«
»Ein Sträflingsarzt in diesem vornehmen Blatt?«
»Ich werde mit dem Chefredakteur sprechen.«
Pjetkin winkte ab. »Lieber nicht. Man wird nach dem Artikel sagen: Diesen Arzt muß man sich merken. Es würde meine Ausreise nach Deutschland nur noch schwerer machen.«
Starobin schlug die Hände zusammen. »Du hast den Blödsinn also noch nicht aufgegeben?«
»Nein. Warum?«
»Mein Fall sollte dir gezeigt haben, wie nötig Rußland dich hat.«
»Dann laßt mich Dunja heiraten!«
»Welch ein Holzkopf! Ich wünsche zum Mittagessen eine Axt, damit ich dir bei der Abendvisite den Schädel spalten kann.«
Sie sprachen nie wieder darüber … aber es lag zwischen ihnen wie ein Minenfeld. Starobin hatte sein Leben wieder, er war gesünder als zuvor … doch der Preis war die Einhaltung des Versprechens, Igors Freiheit … ein Versprechen, um das er in Moskau ringen mußte ohne die geringste Aussicht auf Erfolg. Die Gönner Igors, die den Vater, den Helden der Nation, in seinem Sohn ehrten, waren weggestorben. Eine neue Generation saß auf den maßgeblichen Stühlen, und sie kümmerte sich herzlich wenig um Namen, die vor zwanzig Jahren umkränzt wurden.
Der Briefwechsel zwischen Dunja und Pjetkin wurde immer tragischer. Marko hatte die Wahrheit gesagt … er war so hilflos wie Dunja geworden und zergrübelte sich das Hirn, wie man Igor in Rußland behalten konnte. Nach Deutschland … das war eine Flucht, die im Unendlichen endete. Marko sprach darüber sogar mit Starobin. Er nutzte einen Tag aus, an dem Pjetkin sechs Operationen hatte und aus dem OP nicht herauskam. Sämtliche Ärzte waren im Einsatz, sogar die Dussowa.
Starobin riß die Augen auf, als Godunow ins Zimmer kam und »Guten Morgen, Genosse Kommissar« sagte.
»Das beruhigt mich ungemein«, antwortete Starobin, sprang aus dem Bett und umkreiste Marko. Dann setzte er sich mit seinem gestreiften Pyjama, der zweiten Uniform der Russen, in einen Sessel und nickte mehrmals.
»Was beruhigt Sie, Genosse?« fragte Marko artig.
»Daß es noch häßlichere Menschen als mich gibt. Ich dachte immer, ich sei unschlagbar. Hat Dr. Pjetkin Sie geschickt? Eine gute Therapie … Sie möbelt mich auch seelisch auf. Wie heißen Sie?«
»Marko Borissowitsch Godunow.«
»Der große Zar!« Starobin lachte schallend, sein Fischmaul nahm das halbe Gesicht ein. »Welch ein humorvoller Morgen!«
»Ich habe einen Wunsch«, sagte Marko, unbeeindruckt von Starobins fröhlicher Minute.
»Ich höre.«
»Vergessen Sie, was Sie Pjetkin versprochen haben. Lassen Sie ihn nicht nach Deutschland ausreisen.«
»Das ist ein Wunsch!« Starobin war so verblüfft, daß er seine Munterkeit verlor. »Wie kommen Sie zu solchen Ausfälligkeiten, Genosse?«
»Ich bin Pjetkins
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