Heiß wie der Steppenwind
Freund.«
»Irren Sie sich da nicht gewaltig?«
»Wie ein Vater bin ich zu ihm.«
»Wer den Helden der Nation Pjetkin kannte« – Starobin verzog sein häßliches Gesicht, was ihn noch gräßlicher machte – »dann hat Igor Antonowitsch einen schlechten Tausch gemacht.«
»Kommt es aufs Äußere an, Genosse? Sie müssen es am besten beurteilen können. Im Abseitsstehen sind wir Brüder. Darum sollten wir uns auch jetzt verstehen. Warum muß Pjetkin nach Deutschland?«
»Er muß ja gar nicht … er will!«
»Es ist purer Trotz.«
»Das weiß ich. Aber was soll man machen?«
»Ihn nicht ausreisen lassen.«
»Dann wird er mit seinem Dickschädel lautstark weiter um diese Dunja kämpfen. Er wird Moskau so belästigen, daß er aus den Besserungslagern nicht mehr herauskommt. Keiner kann ihm dann helfen – auch ich nicht mehr. Er wird ein ewig Verbannter sein. Ist das ein Leben? Aber bei ihm gibt es nur diese Alternative: Deutschland oder Lager. Denn auf Dunja wird er nie verzichten.«
»Nie, Genosse.«
»Dann ist Deutschland immer noch das beste für ihn.«
»Und wenn man eine Ausnahme macht und ihm Dunja läßt?«
Starobin schüttelte den Kopf. »Das entscheide nicht ich – das entscheidet das Innenministerium. Und dort ist das Problem Dunja – Igor bereits zu den Akten gelegt. Sie wissen … was in einer verschlossenen Akte liegt, ist begraben, tiefer und sicherer als jeder Sarg auf einem Friedhof. Nichts ist unwiederaufstehlicher als ein Stück Papier in einem Behördenarchiv. Mein lieber Genosse – Ihr Wunsch ist unerfüllbar.«
»Dann lassen Sie Igorenka im Lager. Ernennen Sie ihn zu einem freien Oberarzt im Lager. Meinetwegen lassen Sie ihn bei der Dussowa, diesem herrlichen Satan … vielleicht zerdrückt ihre Liebe mit der Zeit alle Erinnerung an Dunja. Pjetkin ist kein Heiliger … die irdische Nähe Mariankas wird ihn besiegen.«
»Wir werden das überlegen.« Starobin dachte an sein Versprechen. Er fühlte sich ausgesprochen eingeklemmt. »Marianka Jefimowna – ich habe auch daran gedacht. Sie kann Himmel und Höllen aufreißen, und Pjetkin schläft bei ihr mit einer fast ehemännischen Selbstverständlichkeit. Ich denke dabei an Dunja, sagt er … wer glaubt's ihm? Wer kann bei einer solchen Frau an etwas anderes denken als daran! Hoffentlich halte ich es durch. Wir wollen sehen, Genosse Godunow …«
Marko verließ das Krankenhaus unbefriedigt und nervös. Dieser Starobin ist ein mächtiger Mann, dachte er. Aber in Rußland haben mächtige Männer immer wieder noch mächtigere Männer über sich – da ist es schwer, zu hoffen, Prognosen aufzustellen, an Erfolge zu glauben.
Er kam zur Fleischerei zurück und traf Jewronek an, der schon seit zwei Stunden bei ihm im Zimmer wartete. Der bullige Mensch bebte vor Aufregung.
»Na?« rief er und sprang auf. »Na? Kommt er zur Inspektion? Haben Sie ihn vorbereitet, Marko Borissowitsch?«
»Er kommt überhaupt nicht.« Marko setzte sich auf den wackeligen Stuhl. Der riesige Knochenhaufen in der Halle stank bestialisch durch jede Tür- und Wandritze. Über den Betonboden krochen dicke, weiße Maden. Unzählige Male hatte Jewronek Marko ein richtiges Zimmer in der Fleischerei angeboten, ein Metzger hätte dann mit drei anderen zusammenschlafen müssen, um es frei zu machen; Marko winkte ab. Hier, hinter den Knochenhaufen in der kleinen Kammer, war er unbeobachtet – einer der wichtigsten Vorteile, die ein Russe erringen kann. Aus dem Blickfeld sein – das konnte ein ganzes Leben wert sein.
»Er kommt nicht?« sagte Jewronek, lispelnd vor Glück.
»Nein. Er fährt in den nächsten Tagen zurück nach Moskau. Er hat kein Interesse an der Fleischerei.«
»Das haben Sie fertiggebracht, Marko Borissowitsch?«
»Ja«, sagte Marko schlicht und mit sonniger Lüge. »Es gibt größere Probleme als ein paar Zentner Fleischschwund.«
»Ich umarme Sie!« Jewronek drückte Marko an sich, küßte ihn mit großer Überwindung auf die Glatze und lief hinaus. Er war überzeugt, in Godunow einen Mann zu haben, dessen geheimnisvolle Macht man gar nicht hoch genug einschätzen konnte.
Mit dem nächsten Transport ins Frauenlager brachte Marko die traurige Botschaft zu Dunja: »Es ist alles noch wie eine phantastische Wolke. Ich glaube, Igorenka weiß selbst nicht mehr, wohin er steuern soll. Aber sein Schiff ist auf Fahrt … er kann nicht mehr zurück –«
*
Genau nach vier Wochen reiste Starobin wieder zurück nach Moskau. Er war vollkommen gesund, eine
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