Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Oberärztin.«
    »Leningrad.« Marko zog ein nachdenkliches Gesicht. »Das ist gut, Igorenka. Vorzüglich ist das. Leningrad ist Rußlands Tor zum Westen. Sie müssen im Ministerium Sägespäne statt Hirn im Kopf haben, Dunja ausgerechnet nach Leningrad zu versetzen. Von Finnland nach Leningrad ist es nur ein Sprung, und Finnland ist ein freies Land, in dem sich jeder bewegen kann, so frei wie er will. Hatte ich nicht wieder die richtige Idee? Die Verbindung zu Dunja werde ich über Finnland laufen lassen … das ist ein natürlicher und unverfänglicher Weg. Du schreibst von Deutschland nach Finnland, ich schreibe von Finnland nach Leningrad … so einfach ist das.«
    »Und wovon willst du in Finnland leben?«
    »Von harten Eiern mit Brot!« brüllte Marko in den Saal. Das schwarzhaarige Elfchen schwebte heran, balancierte auf einem kleinen Tablett zwei Scheiben Brot und ein einsames Ei, stellte alles auf den Tisch und sagte sogar: »Bitte, Genosse.« Dabei strahlte es, als serviere es den besten Kaviar aus dem Kaspischen Meer.
    »Ein Wunder!« Marko nahm ein Messer, schlug dem Ei die Spitze ab und betrachtete traurig das Eigelb, das dünn herausfloß. »Es sollte hart gekocht sein. Weiche Eier ekeln mich an. Aber was soll's? Ich werde es essen, denn es wegzuwerfen, wäre Sabotage am Volkseigentum.«
    Pjetkin schwieg, während sich Marko mit Ei und Brot beschäftigte. Er trank seinen Tee und dachte an Dunja, die jetzt schon wußte, daß sie Workuta verlassen durfte. »Noch einmal, Marko«, fragte er, als der Zwerg sich den Mund abputzte. »Wovon willst du leben?«
    Godunow blickte Pjetkin fast strafend an. »Söhnchen, es gibt nichts auf der Welt, vor dem ich zurückschrecke. Man wird doch in Finnland einen Mann beschäftigen können – und wenn ich Kloaken reinige. Auch das muß sein, Scheißhäuser gehören zur Kultur … jede Arbeit ist eine ehrliche Arbeit.«
    »Und wie kommen wir miteinander in Verbindung?«
    »Nichts einfacher als das. In Deutschland werden die Zeitungen über dich schreiben. So weiß ich immer, wo du bist. Der Westen ist nichts als ein offenes Maul.«
    »Wann fährst du?«
    »Morgen.«
    »Ich auch.«
    Das Gespräch versandete. Traurigkeit überzog sie. Sie nagten an den gleichen Gedanken: Morgen verlasse ich Rußland. Wie können andere Menschen begreifen, was es bedeutet, Rußland zu verlassen? Ein Russe ohne Rußland ist ein Baum ohne Wurzeln. Das Holz kann man wegtragen, aber es wird nie wieder blühen.
    »Ich kaufe jetzt im GUM ein«, sagte Pjetkin heiser. »Ich habe Bezugsscheine für einen ganz neuen Menschen.«
    »Ich werde zum Bahnhof gehen und mir bei Intourist eine Karte nach Helsinki kaufen.« Marko starrte auf die Tischplatte. »Laß uns nicht weinen, Igorenka …«
    »Mein einziges Glück ist, daß Dunja nach Leningrad kommt.« Er dachte an den Vertrag, den er mit dem Mann mit dem Kneifer abgeschlossen hatte. Agent des KGB in Deutschland um den Preis der Ausreise Dunjas. Er schämte sich so über diesen Handel, daß er Marko alles darüber verschwieg.
    »Wo du auch hinkommst«, sagte Marko, »gib den Zeitungen ein Interview. Es ist die beste Nachricht.« Er sprang auf, legte einen Rubel für die Zeche auf den Tisch und sah Pjetkin schwer atmend an. »Gott mit dir, Söhnchen. Sei gesegnet …«
    »Soll das der Abschied sein, Marko?« In Pjetkins Hals würgte es. »Wenn wir uns nicht wiedersehen …«
    »Darum laß uns auseinandergehen. Schnell, ganz schnell, ohne Sentimentalität, ohne daß unsere Seele schreit … Igorenka … ich … ich … o Gott, es geht nicht mehr …« Er wandte sich ab und rannte davon. Pjetkin blickte ihm nach, wie er die Treppe hinuntersprang, durch die riesige Hotelhalle lief und sie verließ, ohne sich umzublicken.
    Plötzlich war auch der kirgisische Kellner wieder da. »Was hat der Genosse?« fragte er grinsend.
    »Das Ei war ihm zu weich«, sagte Pjetkin mit giftigem Humor. Er war in der Stimmung, die Stühle an der Wand zu zerschlagen und den Tisch von der Empore zu werfen.
    »Er wird noch viel Freude an dem Ei haben.« Der Kellner lachte schadenfroh. »Die Köche haben mit einer Injektionsnadel Rizinus in das Eigelb gespritzt … Ein kleiner Scherz, Genosse. Der Mann hat sich unmöglich benommen. Wir sind ein gutes Hotel, das größte in Moskau! Da kann man mit Würde auf ein Ei warten –«
    Pjetkin nickte, bezahlte und ging auf sein Zimmer. Dort hatte schon wieder einer etwas abgegeben … die Beschließerin der 12. Etage, Gang E, schoß sofort

Weitere Kostenlose Bücher