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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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große Amputationsmesser wieder weg. »Ich versuche das letzte. Lassen Sie feststellen, wer von uns allen Blutgruppe 0 rhesus positiv besitzt. Sie sollen sich bereithalten.«
    Trebjoff warf die Arme hoch und legte dann die Hände flach auf den Kopf. »Wir haben hier noch nie einen großen Blutaustausch gemacht«, sagte er. »Aber wie Sie wollen, Pjetkin. Ich bin der erste. Ich habe 0 positiv.« Er riß sich die blaue Jacke und das Hemd vom Leib und begann zu brüllen. Man hatte schon darauf gewartet und stand bereit wie Sprinter in den Startlöchern.
    »Jeder kennt hier seine Blutgruppe. Wanda, Mascha und Wjera … zu allen Stationen! Holt die Ärzte der anderen Abteilungen aus den Betten! Alle Blutgruppen 0 rhesus positiv in den OP! Los, los! Ich will Sturm unter den Hintern sehen!«
    Die Schwestern rannten hinaus. Pjetkin vernähte den großen Armschnitt und setzte dann den Dreiwegehahn in die Vene. Ein junger Arzt schob ein Rollbett neben den Operationstisch und Trebjoff wälzte sich hinauf, legte sich bequem und schrie: »Schneller! Schneller! Sind hier nur Kerle, die die Geschwindigkeit der Schnecke studiert haben?«
    Es half alles nichts. Mit der Verzweiflung des Hoffenden spülte Pjetkin mit frischem Blut Sinaidas Körpers durch … er durchsetzte es mit so hohen Gaben von Antibiotika, wie es gerade noch vertretbar war, und gab dann den Kampf gegen den übermächtigen Feind auf.
    »Wir müssen warten …«, sagte er völlig erschöpft. »Wir haben alles getan … Wer beten will, soll es tun …«
    Um die Mittagszeit des übernächsten Tages starb Sinaida Nikolajewna Swesda. Sie erwachte noch einmal aus ihrer Besinnungslosigkeit, als wollte sie keinen stummen Abschied nehmen von einer Welt, deren Eroberung sie gerade begonnen hatte. Mit einem traurigen Blick sah sie um sich. Pjetkin und Trebjoff saßen an ihrem Bett.
    »Ich laß Sie allein«, sagte Trebjoff und stand auf.
    »Warum? Bleiben Sie doch.«
    »Wie kann man nur ein solcher Idiot sein!« Trebjoff streichelte Sinaida über das heiße, trockene Gesicht und lächelte sie verzerrt an. »Töchterchen, nur Mut …«, sagte er mit einer merkwürdig flimmernden Stimme. »Jetzt kannst du ihm alles beichten. Er läuft nicht weg … und du hast keine Zeit mehr, dich zu schämen …«
    Pjetkin wartete, bis Trebjoff aus dem Zimmer gegangen war. Dann beugte er sich über Sinaidas Mund und legte sein Ohr auf die aufgesprungenen Lippen.
    »Igoruschka, ich liebe dich …«, flüsterte sie. Es war ein Hauch, der über die lederne, aufgequollene Zunge glitt. »Bleib bei mir … bleib … bleib …«
    Er nickte, nahm ihre glühenden Hände und drückte sie an seinen Mund. Wie grausam das alles ist, dachte er. Eine Lüge verwandelt ihr Sterben in Glück. Und überall ist es so … wir ziehen uns die Lügen an wie Festtagskleider, drehen uns im Spiegel und erfreuen uns am Glitzern der Unwahrheiten.
    »Sinaida …«, sagte er und beugte sich wieder über sie. Ihr Atem roch bereits nach Verwesung, aber die Augen rangen noch nach Leben und waren voll Hoffnung. »Ich bleibe bei dir bis ans Lebensende.«
    Es war ein billiges Versprechen … ein Geschenk von Minuten nur. Aber sie begriff es nicht … für sie gab es keine Zeiträume mehr, sondern nur das Glück der Gegenwart. Sie lächelte, und während ein neuer Schüttelfrost durch ihren Körper jagte und der Atem schneller und immer schneller wurde, erlosch der Glanz ihrer Augen, zog das ewige Schweigen langsam, wie Nebel, über ihr Bewußtsein.
    Das glückliche Lächeln blieb, als der Atem so abrupt aussetzte, daß selbst Pjetkin erschrak. Es war, als hätte jemand ein Licht ausgeknipst …
    Pjetkin stand auf und verließ das Zimmer. Im Flur wartete Trebjoff an der Wand und rauchte nervös. Er war, das wissen wir, ein großer, starker Mensch, und so waren auch die Tränen, die ihm in den Augenwinkeln standen, groß und dick. »Vorbei?« fragte er tonlos.
    Pjetkin nickte. »Ja. Ganz plötzlich!«
    »War sie glücklich?«
    »Ich glaube, ja.«
    »Sie war ein geheimnisvolles Weibchen.« Trebjoff wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen. »Seit zwei Jahren ist sie hier in Chelinograd. Ein Engel von Gestalt, aber ein Fels an Härte. Wenn jemand zu mir sagen würde, er hätte sie im Bett gehabt, dem würde ich den Schädel spalten, denn er wäre der infamste Lügner. Und da kommen Sie … und vom ersten Tag an ist sie wie verwandelt. Sehen Sie mich an, Igor Antonowitsch – was ist eigentlich so Unwiderstehliches

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