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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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an Ihnen dran? Ich kann nichts finden.« Trebjoff bemüht sich um eine gezwungene Fröhlichkeit, aber er war nicht stark genug, seinen Augen das Weinen zu verbieten. »Ich will Ihnen etwas verraten, mein Junge. Ich habe Sie beneidet. Ihnen ist etwas von selbst in den Schoß gefallen, wie ein Apfel, den der Wind abschüttelt, worum ich mich seit zwei Jahren bemühte. Als Sie kamen, Pjetkin, hätte ich Sie erwürgen und umarmen können. Sie erlösten mich von dem Trauma Sinaida und nahmen mir gleichzeitig meine große Liebe weg.« Trebjoff legte den Arm um Pjetkin, küßte ihn auf die Wange und atmete auf wie ein durchlöcherter Blasebalg. »Und jetzt lassen Sie mich allein mit Sinaida.«
    Er ließ Pjetkin stehen und ging in das Totenzimmer. Eine Stunde später stand Sinaida Nikolajewna aufgebahrt im Speisesaal der Ärzte. Trebjoff hatte einen geschnitzten Sarg kommen lassen, alte mongolische und kasakische Ornamente, in denen die Herbheit der Steppe und die Liebe zu den Pferden wiederkehrte. Unter einer mit Gold bestickten Decke lag sie, die lackschwarzen Haare mit bunten Bändern durchflochten. Trebjoff weinte wie ein Kind, setzte sich an daß Fußende des Sarges und sprach mit niemanden mehr. Nur als Pjetkin noch einmal an den Sarg trat und rote Rosen auf Sinaidas Hände legte, blickte er hoch.
    »Sie lächelt noch immer«, sagte Trebjoff dumpf.
    »Ich sehe es.«
    »Was haben Sie ihr gesagt?«
    »Eine Lüge.«
    »Soll ich Sie erwürgen, Pjetkin?«
    »Ich würde Sie jetzt nicht daran hindern, Awdeij Romanowitsch.«
    Trebjoff erhob sich, beugte sich über die Tote und küßte sie auf die lächelnden Lippen. Pjetkin riß ihn zurück und hielt ihn fest, als er sich wehrte.
    »Suchen Sie auch eine Sepsis?« rief er.
    »Sepsis! Sie sind ein ganz erbärmlicher Hund! Zwei Jahre lang wollte ich sie küssen, und zwei Jahre lang war ich für sie ein Floh. Jetzt kann sie sich nicht mehr wehren, und Sie reden von Sepsis …« Aber er ließ sich von Pjetkin hinausführen, fiel in seinem Zimmer auf den Stuhl, griff unter den Schreibtisch in den Papierkorb, holte die Flasche Wodka hervor und setzte sie an den Mund.
    *
    Am Abend rief die Aufnahmeärztin verzweifelt nach Dr. Pjetkin. Ein Mann sei da, der wälze sich vor Schmerzen über den Boden, bespucke die Wände und Krankenpfleger und schreie immer nach Dr. Pjetkin. Dabei sehe jeder, daß er nur simuliere. Und ein häßlicher Zwerg sei er außerdem.
    Pjetkin lief hinunter zur Aufnahme. Wirklich, es war Marko. Er hockte in der Ecke des großen Zimmers, wimmerte, als stäke er auf einem Spieß, und vollführte mit Händen und Füßen einen seltsamen Tanz. Das änderte sich sofort, als er Pjetkin sah. Er sprang auf und klatschte in die Hände. »Söhnchen!« schrie er. »Sie glauben mir nicht die Krankheit! Nichtskönner sind sie alle. Ich habe sie ihnen erklärt – sie kennen sie einfach nicht. Lesen sie denn keine medizinischen Bücher? Aber du kennst sie, nicht wahr? Wir haben schon zusammen einen Mann seziert, der an dieser schrecklichen Geißel gestorben ist. Nur Männer befällt sie, nur Männer … die Genossinen Ärztinnen weigern sich, das zu glauben. Geben Sie mir ein Bett, Igor Antonowitsch, jagen Sie mich nicht hinaus in die kalte Nacht … Sie wissen, wie ansteckend das ist, was ich mit mir herumtrage …«
    Pjetkin wandte sich ab. »Auf Zimmer 19«, sagte er zu dem wartenden Krankenpfleger, der sich bereit hielt, Godunow mit Schwung aus dem Krankenhaus zu werfen. »Und sagen Sie im OP Bescheid. Alles vorbereiten für eine Amputation des Hirns …«
    »Söhnchen!« schrie Godunow auf. Er rannte Pjetkin nach, hängte sich an seinen Arm und lief neben ihm her. »Hab Erbarmen. Die Hühner machen mich fertig, die Hähne sind faul, die Eier werden immer weniger. Ich bin krank an Leib und Seele … gib mir ein Bett bei dir, ohne mein Gehirn herauszunehmen.«
    Pjetkin blieb stehen. »Der wahre Grund?« fragte er drohend.
    »Ich habe es dir versprochen.« Marko wischte sich über das Gesicht und zitterte vor Freude. »Ich komme zurück. Als Angestellten wollten sie mich nicht … also komme ich als Patient. Aber ich bin bei dir, Igorenka … ich kann dir wieder helfen …«
    Es war ein Augenblick, in dem Pjetkin den häßlichen Zwerg hätte küssen können.

N EUNZEHNTES K APITEL
    Wer zum erstenmal aus den riesigen Wäldern der Taiga herauskommt und die Stadt Irkutsk betritt, setzt sich still auf eine der Bänke in den vielen Parks und Gärten und schweigt. Er glaubt, in einem

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