Heiß wie der Steppenwind
habe es geahnt«, sagte er. »Sie sind ein Wasserbüffel! Sie schuften bis in die Nacht. Denken Sie nie an sich?«
»Nachts, Awdeij Romanowitsch. Nachts liege ich auf dem Rücken und denke: Warum ist das alles so? Dunja in Irkutsk, ich in Chelinograd, auseinandergerissen, weil wir uns lieben.«
»Es gäbe gar kein Problem, wenn Sie ein Russe wären.«
»Verdammt nochmal, ich bin ein Russe!« rief Pjetkin.
»Das sagen Sie.« Trebjoff hakte Pjetkin unter und zog ihn mit sich den Flur entlang. »Darum fragte ich Sie: Warum arbeiten Sie wie ein Wasserradochse und denken nicht an sich? Heute ist ein Konzert des Pianisten Remnoff im Kulturpalast. Ein brillanter Spieler, ein Techniker mit Gefühl. Heute spielt er Beethoven und Brahms. Beethoven … da schließe ich die Augen und beginne zu träumen. Und was machen Sie? Sie räumen einen jauchigen Tumor aus, der gut bis morgen früh hätte warten können. Wer dankt es Ihnen?«
»Der Kranke«, sagte Pjetkin verhalten.
»Solange er im Krankenhaus ist. Wenn er es verlassen hat, wird er höchstens schimpfen, daß er jetzt eine Narbe auf dem Bauch hat.« Trebjoff blieb stehen. »Igor Antonowitsch, ich mag Sie gern … vom ersten Tag an.«
»Danke, Awdeij Romanowitsch. Es beruht auf Gegenseitigkeit.«
»Darum sollten wir uns auch nicht anlügen.« Trebjoff beugte sich an das rechte Ohr Pjetkins. »Sie haben Feinde, junger Freund.«
»Das weiß ich.« Pjetkins Gesicht verkrampfte sich. »Man sollte wissen, wo sie sitzen und wer sie sind.«
»Das werden Sie nie erfahren. Weiß man, wo die Stürme entstehen? Plötzlich sind sie da und biegen die Bäume. Einige knicken sie um. Darauf sollten Sie achten, Pjetkin … biegen Sie sich, aber lassen Sie sich nicht mit der Wurzel ausreißen. Noch ein Rat unter Freunden: Lösen Sie sich von Dunja.«
»Darüber brauchen wir gar nicht zu diskutieren«, sagte Pjetkin.
»Das ist auch nicht nötig. Ich appelliere nur an Ihre Logik, Igor Antonowitsch. Was hat diese himmelreißende Liebe noch für einen Sinn? Dunja lebt in Irkutsk … Sie stecken in Chelinograd, und Sie werden es ohne obersten Befehl nicht mehr verlassen. Sie haben keinen Paß, er liegt bei der Verwaltung im Panzerschrank, und über Ihr Leben wird verfügt werden wie über einen Mähdrescher beim Ernteeinsatz. Ganz klar gesagt: Sie werden Dunja nie wiedersehen! Ist das ein Grund, sofort ein Mönch zu werden?«
»Es ist ein Grund, gegen dieses System der Menschenkollektivierung Sturm zu laufen.«
»Sie Narr!« Trebjoff stieß die Tür zur Eingangshalle auf. Die Nachtschwester sprang auf und grüßte. »Wollen Sie den Kreml in die Luft sprengen? Die Zeit der Anarchisten ist vorbei. Heute sind Sie noch ein Halbverbannter, ein Mensch im Arbeitseinsatz – aber die Verurteilung nach § 58 ist gar kein Problem und geht so reibungslos über den Tisch wie eine normale Unterschrift. Warum gehen Sie nicht Ihren Weg zur Sonne, Pjetkin? Ist Sinaida nicht ein Täubchen, das man dauernd streicheln könnte?«
»Sie kennen Dunja nicht«, sagte Pjetkin versonnen. »Ich soll den Weg zur Sonne gehen, sagten Sie. Dunja ist meine Sonne.«
»Kommen Sie morgen zu mir.« Trebjoff blickte auf seine Armbanduhr. »Ich werde Sie untersuchen, Igor Antonowitsch. Irgendwo hat Ihr Hirn einen Knick. In zehn Minuten beginnt das Beethoven-Konzert. Ich muß mich beeilen.«
Pjetkin sah ihm nach. Er fühlte sich elend. Nicht wegen des hinter ihm liegenden, arbeitsreichen Tages. Langsam folgte er Trebjoff nach draußen, blieb vor dem Haus stehen und atmete tief die klare Nachtluft ein.
Er ging ein paarmal durch den Park und setzte sich auf eine der Bänke.
In dieser Nacht verwandelte sich Igor Antonowitsch Pjetkin. Er wollte ein Deutscher sein.
*
Schon bald überfiel sie das Fieber. Der Gaumen wurde trocken, die Schläfen klopften, Schüttelfröste durchjagten den Körper, die Haut wurde wie Leder und glühte. Vom Finger aus zog sich die Schwellung bereits bis zum Ellenbogen. Sinaida saß im Bett und lehnte den Kopf benommen an die Wand. Der Schmerz hatte sie geweckt, und als sie aufspringen wollte, war sie schlaff zurückgefallen und hatte nur noch die Kraft besessen, sich an der Wand hochzuschieben. Alle Geräusche versanken wie in Watte … sie kratzte an die Wand und hörte es kaum, sie rief, wie sie meinte, so laut sie konnte und vernahm ihre eigene Stimme wie ein ganz weites Echo.
»Igor!« schrie sie. »Igor, hilf mir! Mein Arm! Rette meinen Arm! Igor …« Aber es war, als fände die Stimme
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