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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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leise. Die Erkenntnis der Wahrheit machte sie leer wie einen riesigen Raum, in dem sie ihre eigene Stimme nicht mehr hörte.
    »Ich weiß es. Wir haben den Befehl von oberster Stelle. So verwirrend die Wahrheit auch ist … Pjetkin ist Deutscher. Ihre Unterschrift, Genossin, und alle Probleme werden in einem Panzerschrank verstauben. Ist es so schwer, unter Millionen Männern einen einzigen zu vergessen?«
    »Das ist es, Genosse.« Dunja ging zur Tür.
    Ein stolzes Hühnchen, dachte der dicke, freundliche Mensch, aber man wird ihr trotzdem das Hälschen umdrehen. Schade ist's, aber die Gesetze machen nicht vor schönen Körpern und strahlenden Augen halt.
    Sie verließ das kleine Zimmer und warf die Tür laut zu. Im Flur blieb sie stehen, drückte das Gesicht gegen die ölgestrichene glatte Wand und schloß die Augen.
    Igorenka. Wir werden uns nie wiedersehen? Woher wissen sie das? Wir werden zu Fuß um diese Erde laufen, und irgendwo treffen wir uns. Irgendwo … und wenn es auf dem Vorplatz des Himmels ist – oder der Hölle. Man wird uns nie trennen, Igorenka … nie!
    In ihrem Zimmer schrieb sie eine Anzeige gegen Tschepka. Es war die gleiche Zeit, in der der kleine, dicke Mensch mit Moskau telefonierte, bei jedem zweiten Wort nach vorne knickte und ehrfürchtig sagte: »So wird es gemacht, Genosse. Jawohl, so wird es gemacht.«

Z WANZIGSTES K APITEL
    Die Dienststelle des KGB von Chelinograd lag in einer engen Seitenstraße, unauffällig, ein Haus wie tausend andere, weit ab vom Gefängnis, eher ein Miethaus eines Arbeiterkollektivs, als ein Gebäude, in dem die Schicksale sich in wenigen Karteikästen zusammendrängten. Man wußte in Chelinograd auch kaum etwas von diesen Genossen, die für den Russen dem lieben Gott am nächsten stehen, denn Gott schuf Himmel und Erde, schickt Wind und Regen, läßt die Sonne scheinen und die Nacht dunkeln, bestimmt Frühling, Sommer, Herbst und Winter … aber die Genossen vom KGB bestimmen, ob jemand geruhsam sein Pfeifchen rauchen und 100 Gramm Wodka trinken darf, oder ob er am Kap Deschnew in einem Bergwerk mit hundert anderen Sträflingen seinen wertlos gewordenen Geist aufgibt.
    Pjetkin ahnte gar nichts, als ihm die Post einen Brief brachte. Er wurde gebeten – man höre es sich an: gebeten! – am Donnerstag in die Schabarowskaja zu kommen. Um 10 Uhr vormittags. Zu einer Besprechung. Der Absender war noch geheimnisvoller: Büro für technische Zusammenarbeit. Eine Name, der Pjetkin gar nichts sagte, aber für einen Russen ist Technik ein Zauberwort.
    »Eine merkwürdige Sache«, sagte Godunow, als er den Brief gelesen hatte. Er lebte als Patient im Krankenhaus, wurde von Pjetkin persönlich behandelt, und wenn er auch keinerlei Krankheit hatte, so mußte er es doch über sich ergehen lassen, daß man ihm Spritzen gab und bittere Säfte und Tabletten.
    »Technische Zusammenarbeit«, sagte Pjetkin und drehte den Brief zwischen den Fingern. »Im Prinzip klingt das gut. Vielleicht erproben sie einen neuen Bestrahlungsapparat? Ich werde hingehen, Marko.«
    Die Schabarowskaja ist, wie gesagt, eine Nebenstraße, und das Haus ein gelb gestrichener häßlicher Bau. Aber innen war es sauber, merkwürdig still und von einer fast kalten Einsamkeit.
    Zimmer 6. Pjetkin klopfte an, jemand rief: »Herein!« und er war in einem der typischen Büros mit der trostlosen Einrichtung aus einem Tisch, drei Stühlen, einem Aktenschrank, einem Leninbild an der Wand und einem verwelkten Blumenstock auf der Fensterbank. Der Mann, der hinter dem Tisch saß, winkte Pjetkin lächelnd zu, zeigte auf den Stuhl und rief: »Nehmen Sie Platz, Igor Antonowitsch. Wir kommen gleich zu Sache.« Er selbst stand nicht auf, was ein höflicher Mensch sonst tut, und er nannte Pjetkin sofort beim Namen, ohne daß dieser sich vorgestellt hatte. Zwei Dinge, die Pjetkin auffielen und ihn vorsichtig werden ließen.
    »Sie kennen mich, Genosse?« fragte er und setzte sich.
    »Wer kennt nicht den Arzt Pjetkin?« Der Mann lehnte sich zurück. Das war die dritte Unkorrektheit, denn ein guter Mensch stellt sich vor, mit Vornamen, Vatersnamen und Nachnamen, damit man weiß, wen man vor sich hat und wie man ihn anreden soll. »Das medizinische Genie. Damit sind wir beim Thema! Sie haben einen offiziellen Antrag gestellt, als Deutscher betrachtet zu werden und in Ihre Heimat Deutschland ausreisen zu dürfen.«
    In diesem Augenblick wußte auch Pjetkin, wer das ›Büro für technische Zusammenarbeit‹ wirklich war. Er

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