Heiß wie der Steppenwind
Godunow sprang von der Brille, warf die Zeitung auf den Boden und zog die Hose hoch. »Das kann doch nur ein Irrtum sein!«
»Keiner weiß Genaues. Nur angerufen haben sie, die Genossen vom KGB. Jetzt ist ein Rätselraten überall im Krankenhaus. Die einen sagen, er habe die Verwaltung mehr als nützlich beleidigt, die anderen behaupten, er sei schon ein halber Sträfling gewesen, bereits, als er nach Chelinograd gekommen ist. Und nun los … soll der Chefarzt noch länger warten?«
Marko weigerte sich nicht mehr, die Spritze zu empfangen. Er legte sich auf sein Bett, hob das Gesäß an, und Trebjoff jagte ihm eine Injektion in den Muskel, daß Godunow mit den Zähnen knirschte.
»Sie haben eine feste Hand«, sagte er zu Trebjoff, als er sich wieder auf den Rücken drehte. »Wie unterschiedlich so ein Spritzchen sein kann. Bei Pjetkin war der Einstich wie ein Mückenstich. Ist der gute Doktor verhindert, Awdeij Romanowitsch?«
Dr. Trebjoff antwortete nicht. Er blickte den Zwerg nachdenklich an, beugte sich dann über ihn, als wolle er ihm die Mandeln untersuchen, und fragte: »Sind Sie nicht mit Pjetkin nach Chelinograd gekommen, Genosse?«
»So war es. Aber man brauchte hier meine Dienste nicht, und ich verpflichtete mich, einige tausend verfluchte Hennen an die Norm der staatlichen Eiermarktwirtschaft zu gewöhnen. Diese Aufgabe zerstörte meine Nerven. Was ist mit Pjetkin?«
»Sie werden ihn nicht wiedersehen«, sagte Trebjoff dunkel. »Wir alle werden ihn nicht wiedersehen. Fragen Sie nicht weiter Marko … bleiben Sie bei Ihren Eierchen, das ist ein reeller, zukunftssicherer und unpolitischer Beruf.« Trebjoff richtete sich wieder auf und ging, ohne sich umzublicken.
Godunow wußte genug. Er faltete die Hände über der Brust und schloß die Augen. Er hat es also in die Tat umgesetzt, dachte er. Auf keine Warnung hat er gehört. Nun sitzt er irgendwo in einer Zelle und wartet, was mit ihm geschieht. Marko drehte sich auf die Seite und starrte auf den gescheuerten Linoleumboden, der dreimal in der Woche gewachst und gebohnert wurde. Die Geräusche um ihn verblaßten … alles verlor sich aus dem Ohr und dem Auge Godunows, und es blieb nur ein Gedanke übrig: Kann man Pjetkin noch helfen? Wie kann man in seiner Nähe bleiben? Und Dunja, mein Gott, Dunja … sie muß benachrichtigt werden. Sie anzurufen, hatte keinen Sinn, denn alle Gespräche wurden abgehört, dessen war Marko gewiß. Einen Brief schreiben, hatte noch weniger Sinn, denn er würde nie ankommen. Also blieb nur eines übrig: Nach Irkutsk fahren und sie selbst sprechen. Dann aber verlor er Pjetkin aus den Augen. Es war ein Problem, das Godunow fast zu Boden drückte.
*
Nach dem Mittagessen ging Marko – ein gewohntes Bild – mit seinem Stock hinaus, um im Garten frische Luft zu schöpfen. Meistens saß er dann auf einer Bank unter einer Trauerbirke. So fragte auch heute keiner: Marko Borissowitsch, wohin des Weges?, sondern ließ den Zwerg in den Park ziehen. Hier aber schlug er einen Bogen um die vertraute Bank, sah sich blitzschnell ein paarmal um und verschwand zwischen den Büschen. Weg war er, und daß er nicht wiederkam, merkte man erst beim Abendessen, das auf dem Tisch neben seinem Bett stand und kalt wurde.
Da war es schon zu spät, ihn zu suchen. Der Stationsarzt, der sofort Dr. Trebjoff benachrichtigte, wunderte sich, wie gelassen der Chefarzt das Verschwinden eines Patienten aufnahm.
»Seien wir froh, daß er weg ist«, sagte Trebjoff leichthin. »Er war ein Simulant. Pjetkin und ich haben ihn nur aus Mitleid behandelt. Jetzt fällt er wenigstens nicht mehr dem Staat zur Last.«
Den Nachmittag verbrachte Godunow so unruhig wie nie. Zunächst machte er ausfindig, wo sich das Büro des KGB befand. Er sprach dazu einen Milizionär an, einfach auf der Straße und fragte: »Genosse, ich habe da einen Fall, der wäre der Geheimpolizei sehr wertvoll. Wenn man nur die Adresse wüßte.«
»Gehen Sie zur Kommandantur«, riet der Polizist. »Ich habe ein Aufgabengebiet, wo man solche Adressen nicht kennt.«
Marko lief herum. In der Kommandantur schickte man ihn durch sieben verschiedene Zimmer, überall erzählte er das gleiche, von einem Verdacht, daß in der Kolchose ›Now Gorkij‹ ein als Traktorist verkleideter Priester heimliche Andachten halte und sogar taufe. Das war etwas, was ihm sofort Gehör verschaffte, aber erst nach zwei Stunden erfuhr er die Anschrift des KGB-Büros.
In der Schabarowskaja – Godunow machte einen
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