Heiß
erkannte sie ihn und Zufriedenheit huschte für einen Augenblick über ihr Gesicht. Ihre Lippen bewegten sich und Finch beugte sich vor. »Suchen Sie Chinguetti«, hörte er sie murmeln, »Chinguetti … Bevor es zu spät ist.«
In diesem Augenblick stieß ein untersetzter Mann im Anzug mit einem Erste-Hilfe-Koffer die Tür auf, sah sich rasch um und kniete neben der Verletzten nieder, während er auch schon Mullbinden aus dem Behälter riss. Er nickte Finch zu, warf einen Blick auf Amina Mokhtar, hob ihren Körper an und schob den Piloten sanft beiseite.
»Was um alles in der Welt ist hier passiert?«, murmelte er nach einem Blick auf die Wunden der Wissenschaftlerin. Lauter sagte er: »Danke für Ihre Hilfe. Ich bin der Arzt der Bibliothek und übernehme ab hier. Die Ambulanz ist bereits unterwegs. Alles andere liegt jetzt in Gottes Hand.«
John Finch stand wie benommen auf, blickte auf die blutüberströmte Amina Mokhtar hinab, sah das kleine Mädchen auf dem Flughafen in Algier in der flirrenden Hitze, spürte den Maria-Theresien-Taler zwischen seinen Fingern, der heißer und heißer zu werden schien. Während er energisch die Menschen beiseiteschob, die begannen, die Kaffeeküche zu füllen, und zum Ausgang drängte, hörte er immer wieder die Stimme des seltsamen alten Mannes, den er gestern spätnachts auf der Corniche getroffen hatte:
»Der Teufel lässt dich nicht mehr gehen, wenn er einmal gegen dich verloren hat«, hatte er geflüstert. »Denn am Ende, am Ende gewinnt er immer.«
Borkwalde, Mark Brandenburg, vor den Toren Berlins/Deutschland
Das Navi im Dienstwagen hatte wegen akuter Ratlosigkeit bereits vor einigen Minuten aufgegeben. Mit einem lakonischen »Sie haben Ihr Ziel erreicht« – obwohl davon weit und breit zwischen Sandfahrbahn und Kiefernwäldern, verlassenen Spazierwegen und vereinzelten Holzhäusern nichts zu sehen war – war die ansonsten stets so abenteuerlustige Blondinenstimme schmollend verstummt und hatte auf Thomas Calis‘ gereizte Frage »Und nun?« keine Antwort mehr gegeben.
»Na toll«, murmelte der Kommissar und sah sich um. In einem Waldstück von der Größe eines Berliner Bezirks, ohne Wegweiser und Hausnummern, nur mit vereinzelten Straßenschildern und zum Verwechseln ähnlich aussehenden Holzhütten und -häusern, glich die Suche nach der Humboldtstraße einer von vornherein gescheiterten Expedition. Als Calis das letzte Mal durch das offene Seitenfenster einen im Garten arbeitenden Anwohner nach der Adresse gefragt hatte, war der kopfschüttelnd tiefer zwischen seinen Beeten verschwunden und nicht mehr aufgetaucht.
»Diese verdammte Straße heißt wohl deshalb so, weil sich hier selbst Alexander von Humboldt verirrt hätte«, brummte Calis frustriert und beäugte sein Handy, das jegliche Kommunikation mangels Sendemasten verweigerte. Was nun? Zurück auf die Autobahn und telefonieren? Den Weg genau beschreiben lassen? Hier sah ein Sandweg zwischen den Nadelbäumen genauso aus wie der nächste und der übernächste.
Schachbrettartig eingeteilte Natur.
Was ihn noch mehr beunruhigte, war der Geschützlärm, unterbrochen von Maschinengewehrsalven, der in regelmäßigen Abständen seine Trommelfelle zum Vibrieren brachte. War hier etwa ein Übungsplatz der Legion, von dem er nichts wusste und in dessen Zielgebiet er gerade unterwegs war?
Calis bog auf gut Glück rechts ab und hätte fast einen Freudensprung gemacht, als er den Spaziergänger erblickte, der an einer langen, gummiartigen Leine einen weißen toupierten Pudel wie ein Jo-Jo zwischen die Bäume schickte und wieder einholte. Der Kommissar stellte den Wagen ab und stieg aus. Der Mann hatte ihn kommen hören und machte glücklicherweise keine Fluchtversuche. Im Gegenteil. Er sah Calis neugierig entgegen.
»Schöner Tag zum Spazierengehen«, versuchte Calis es unverbindlich, aber der gewünschte Erfolg blieb aus. Der Mann sah ihn stumm an und wartete. Der Pudel wiederum beachtete ihn überhaupt nicht, sondern wickelte das Bungee-Seil der Leine hingebungsvoll um einen halbvollen Abfalleimer, aus dem es nach Essensresten stank.
Im Hintergrund donnerten die Kanonen.
Viel surrealer geht es nicht mehr, schoss es dem Kommissar durch den Kopf. Wenn sein Herrchen jetzt noch bellt und das Bein hebt, dann bin ich reif für die Klapsmühle.
»Wohin wollen Sie denn?«, ertönte da die volle Stimme des Spaziergängers, und Calis fiel ein Stein vom Herzen. Er räusperte sich.
»Humboldt…ähh, Humboldtstraße
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