Heiß
dachte Thomas Calis über die letzten Worte des Offiziers nach. Vielleicht hatte sich Gustav ja geirrt, und die Mörder kamen gar nicht aus der Legion der Namenlosen, sondern aus einer der vielen anderen Sonderkampfgruppen, die in vielen Staaten in den achtziger Jahren aus dem Boden geschossen waren und die ihre Angehörigen alle früher oder später mit Pensionsberechtigung wieder auf die Gesellschaft losließen.
Er bog nach rechts ab und sah eine kerzengerade Straße vor sich, die sich in der Ferne zwischen den Bäumen verlor. Wo immer sie auch hinführte, sie würde ihn irgendwann aus diesem Labyrinth wieder herausbringen, sagte er sich. Also ignorierte er die Blonde aus dem Navi, wollte reflexhaft das Radio anstellen, aber das funktionierte nicht, wie ihm die Fahrbereitschaft entschuldigend am Morgen mitgeteilt hatte. So kurbelte er das Fenster herunter und ließ mit der warmen Mittagsluft den Geruch nach Frühling und Osterblumen in den Wagen strömen. Die Vögel zwitscherten, begeistert über die Gefechtspause und die damit verbundene Ruhe.
Er hielt Ausschau nach dem Spaziergänger mit seinem weißen Pudel. Aber der saß sicher bereits in einem der Holzhäuser vor einem Bier und aß Königsberger Klopse oder einen strammen Max.
Und nun?
Das Handy hatte noch immer keinen Empfang, also hing Calis seinen Gedanken nach, während nicht enden wollende Föhrenwälder an ihm vorbeizogen. Die Aufhängung des Golfs stöhnte unter den Schlaglöchern und Querrillen. Hoffentlich hatte Frank mit seinem Anruf in Hessen mehr Erfolg gehabt.
Plötzlich knackste es in den Lautsprechern, und wie durch ein elektronisches Wunder ertönten klar und ohne Rauschen die letzten Zeilen der Mittagsnachrichten des Deutschlandfunks: »… stellte sich heraus, dass die erste Explosion durch zwei unter dem Fahrzeug angebrachte Sprengkörper ausgelöst worden war. Danach hatte das Feuer auf weitere abgestellte Pkw und einen in der Nähe geparkten Lkw-Anhänger mit Altreifen übergegriffen. Die Opfer, drei Männer zwischen fünfunddreißig und fünfundvierzig Jahren, konnten noch nicht identifiziert werden. Wie die Kriminaldirektion Frankfurt am Main in einer kurzen Pressemitteilung verlauten ließ, wird die Möglichkeit eines missglückten Terroranschlags nicht ausgeschlossen. Das Wetter. Nachmittags freundlich zwischen Rhein und Oder, mit Temperaturen …«
Merianstraße, Kronberg im Taunus/Deutschland
»Und was genau soll das sein?«
Der Mann an der Stirnseite des riesigen Besprechungstisches sah aus wie ein Golfspieler, der zwischen zwei Abschlägen schnell auf einen Sprung in der herrschaftlichen Villa vorbeigeschaut hatte. Und genau das war er auch.
Der Golf- und Landklub Kronberg, aufwendig rund um das gleichnamige Schlosshotel angelegt und mit einer ellenlagen Warteliste ausgestattet, die es ermöglichte, unerwünschte Antragsteller jahrelang auf Abstand zu halten, lag nur wenige Hundert Meter von dem parkähnlichen Grundstück entfernt, auf dem das luxuriöse Anwesen stand.
Die Nähe zum Klub machte die Wohnlage in der Merianstraße noch teurer, als es die Gegend westlich von Frankfurt sowieso schon war. Bad Soden, Königstein, Kronberg – hier genügte es nicht, einfach nur Geld zu haben. Man brauchte dazu noch einen wohlklingenden Namen, ein seit Jahrzehnten funktionierendes Netzwerk und die richtigen Beziehungen zur Politik, um sich hier anzusiedeln. Neureiche Parvenüs schickte man näher an den Main.
Der Hausherr, ein schlanker Mittvierziger mit dunklem, vollem Haar, drehte den Gegenstand ratlos zwischen seinen Fingern. Er sah aus wie eine schmale, aber hohe Pyramide aus Glas und erinnerte an einen Kristall aus durchsichtigem Quarz.
Oder an eine sonderbare Pfeilspitze einer unbekannten Zivilisation.
Sein Besucher, blond, braun gebrannt und distinguiert gekleidet, spielte gedankenverloren mit dem matt schimmernden Metallzylinder und ließ ihn dabei immer wieder über die auf Hochglanz polierte Tischplatte rollen. Er sah überrascht auf. »Ich dachte, Sie wüssten, was Sie suchen«, erwiderte er interessiert, und seine grünbraunen Augen blickten den Hausherren ein wenig abschätzig an.
»Ehrlich gesagt habe ich etwas ganz anderes erwartet«, gab der Golfspieler zu und stellte die schlanke Pyramide vor sich auf das dunkle Holz neben die blauen gelochten Handschuhe. Ohne das Objekt aus den Augen zu lassen, streckte er die Hand aus und sagte zu seinem Besucher: »Würden Sie mir bitte den Metallbehälter
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