Heiße Nacht, Sueßes Gestaendnis
Selbstständigkeit zu gehen. Sie müsste sich einen Investor für die Zusammenarbeit suchen. Eva hatte ihr diverse Male eine stille Partnerschaft angeboten – zuletzt noch heute Morgen –, aber Tess lehnte das ab. Sie wollte ihre Freundschaft nicht mit finanziellen Verpflichtungen belasten.
In Wahrheit aber traute sie sich das ganze Projekt nicht zu. Es würde ihr soziales Leben auf ein Minimum reduzieren und ihre Freiheit, Aufträge anzunehmen oder abzulehnen, erheblich einschränken. Aber nun war die perfekte Gelegenheit gekommen, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen. Das Luxusapartment war gekündigt, und in sieben Monaten würde sich ihr soziales Leben ohnehin ändern, genau wie das Privileg, in letzter Minute spontane Entscheidungen zu treffen.
Der Start ihres Unternehmens würde in den nächsten Monaten viel harte Arbeit bedeuten. Aber wenn sie es mit ihren Ersparnissen und Evas Finanzspritze erfolgreich auf den Weg brachte, und die angenommenen Aufträge zeitlich vor und weit hinter dem errechneten Geburtstermin platzierte, konnte es klappen. Das Risiko war groß, keine Frage, andererseits durfte sie ihre Karriere nicht aus den Augen verlieren.
Die Möglichkeit einer kostenlosen Unterkunft hätte zu keinem günstigeren Zeitpunkt kommen können. Aber wenn sie in Nates Haus wohnte, musste sie auf jeden Fall verhindern, irgendwann auch in seinem Bett zu landen. Das wäre ein völlig falsches Signal, einmal abgesehen davon, dass ihre Gefühle ihm gegenüber ein richtiges Eigenleben entwickelten.
Konzentriert atmete sie durch und umklammerte das Lenkrad fester. Die Vorstellung, gleich Nate gegenüberzustehen, ließ ihr Herz wild schlagen.
Dabei sind wir doch gar kein Paar, erinnerte sie sich streng. In keinerlei Hinsicht. Wir haben miteinander geschlafen, mehr nicht. Und dabei ein Baby gemacht. Aus Versehen.
Zugegeben, er war nicht der kaltschnäuzige, verantwortungslose Idiot, für den sie ihn anfangs gehalten hatte. Weder sein Charakter noch seine Motive oder seine persönlichen Erfahrungen zeichneten das Bild eines Unmenschen. Nates Persönlichkeit war sogar überraschend komplex. Allerlei Grauzonen, die sich bestimmt näher zu erforschen lohnten. Trotzdem war er nicht ihr Typ. Sie fand ihn zu selbstherrlich, regelrecht arrogant, und er hatte die nervtötende Angewohnheit, ihr vorschreiben zu wollen, was sie zu tun hatte.
Wenn sie sich nicht gerade die Kleider vom Leib rissen, hatten sie im Grunde nicht allzu viel gemeinsam. Bis auf die unverhoffte Schwangerschaft, mit der sie nun fertigwerden mussten.
Ihnen blieben sieben Monate, um einen zivilen Umgang miteinander zu üben und eine Vertrauensbasis aufzubauen. In erster Linie ging es um das Baby, das in ihrem Bauch heranwuchs – nicht darum, wie es entstanden war!
Besorgt kaute Tess auf ihrer Unterlippe herum, während immer mehr Wasserdampf unter ihrer Motorhaube hervorquoll. Die Angst um ihren Wagen lenkte sie ein wenig von der Aufregung ab, gleich auf Nate zu treffen.
Es war doch ganz einfach. Sie musste sich ausschließlich auf die Dinge konzentrieren, die sie an Nate störten. Das sollte die Bereiche, in denen sie hervorragend zusammenpassten, entschieden abkühlen.
Das Motorengeräusch wurde unerträglich, und Tess flüsterte dem Auto aufmunternde Worte zu, damit es noch den letzten Hügel erklomm. Dann entglitten ihr plötzlich alle Gesichtszüge, und jeder klare Gedanke verflüchtigte sich, als sie das Anwesen vor sich entdeckte.
„Gütiger Himmel!“ Sie stemmte sich etwas im Sitz hoch, um einen besseren Blick zu ergattern. Am Ende der Auffahrt thronte ein Schloss aus Stein, Holz, Granit und Glas. Erker, Türmchen und Giebel mit Rokoko-Schnitzereien verliehen dem Gebäude etwas Märchenhaftes. Der wolkenlose blaue Himmel ließ die gedeckten Farben erstrahlen, und es hätte Tess nicht gewundert, wenn hier Dornröschen in ihrem hundertjährigen Schlaf liegen würde.
Buschige hohe Hecken, von rosaroten Blüten übersät, umrankten die alten Mauern, und wilde Rosen hatten sich rechts und links der breiten Eingangstreppe ausgebreitet.
Hatte Nate diesen Traum echt als gewöhnliches Haus bezeichnet? Dieser Mann verstand etwas von Untertreibungen. Von wegen Haus ! Der Begriff Märchenschloss wurde dieser Pracht nicht annähernd gerecht. Mehrere alte Architekturstile wurden hier zu einem überzeugenden Potpourri vereint, von allem nur das Beste.
Tess’ Herz hämmerte in ihrer Brust. Konnte man sich in ein Gebäude verlieben? Und dann noch
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