Heiße Nächte in Mexiko - Roberts, N: Heiße Nächte in Mexiko
eingebracht hätte. Jonas hatte den Scheck und den überschwänglichen Dank seines Mandanten angenommen und den Medienrummel weitestgehend gemieden.
Jonas hatte auch schon an Urlaub gedacht, das erste Mal seit achtzehn Monaten. Er war zufrieden mit sich und der geleisteten Arbeit, blickte optimistisch in die Zukunft, aber definitiv erholungsbedürftig. Zwei Wochen in Paris schienen ihm die perfekte Entschädigung nach den Monaten von Zehnstundentagen. Paris mit seiner zeitlosen Schönheit, seinen schattigen Parks, seinen einzigartigen Museen und dem unvergleichlichen Essen war genau das, was Jonas Sharpe jetzt brauchte.
Als der Anruf aus Mexiko kam, hatte es einige Minuten gedauert, bevor er überhaupt verstand, was los war. Nachdem er bestätigt hatte, dass er tatsächlich einen Bruder mit Namen Jeremiah hatte, war sein erster Gedanke, dass Jerry mal wieder in der Klemme steckte, dass er Schwierigkeiten mit den Behörden bekommen hatte und Jonas ihn zum wiederholten Male auslösen musste.
Als er jedoch nach dem Gespräch auflegte, konnte er nicht mehr denken. Sein Kopf war völlig leer. Benommen wies er seine Sekretärin an, die Arrangements für Paris zu stornieren und stattdessen für morgen einen Flug nach Cozumel zu organisieren. Dann hatte er den Hörer wieder abgenommen und seine Eltern angerufen, um ihnen zu sagen, dass ihr Sohn tot war.
Er war nach Mexiko gekommen, um den Leichnam zu identifizieren und seinen Bruder für das Begräbnis nach Hause zu überführen. Eine Welle der Trauer schlug über ihm zusammen, als er das Unvermeidliche akzeptierte. Jerry hatte immer am Rande einer Katastrophe gestanden. Dieses Mal war er über die Klippe gestürzt. Seit der Kindheit hatte er mit dem Desaster geflirtet, dabei auf höchst charmante Art. Irgendwann hatte er scherzhaft bemerkt, dass Jonas nur Jura studiert hätte, um ihm jedes Mal aus dem Schlamassel herauszuhelfen. Vielleicht stimmte das sogar.
Jerry war immer der Träumer gewesen, Jonas der Realist. Jerry war unentschuldbar faul, Jonas ein Workaholic. Sie waren wie die zwei Seiten einer Münze – gewesen. Als Jonas vor dem Polizeigebäude in San Miguel vorfuhr, wusste er, dass ein Teil von ihm nicht mehr existierte.
Der Hafen ähnelte einer Postkartenidylle. Kleine Fischerboote waren auf den Grasstreifen gezogen worden, die großen grauen Kutter lagen draußen auf dem Wasser angedockt, Touristen in bunten Hemden und kurzen Shorts spazierten am Wasser entlang. Die Wellen schwappten leise an Land, es roch nach See.
Jonas stieg aus dem Wagen und ging auf die Polizeiwache zu, innerlich gewappnet, durch einen Morast von Papierkram zu waten, den ein gewaltsamer Tod immer mit sich brachte.
Captain Moralas war ein geradliniger, nüchterner Mann, hier geboren und aufgewachsen und leidenschaftlich entschlossen, seine Insel zu beschützen. Fast vierzig, wartete er jetzt auf die Geburt seines fünften Kindes. Er war stolz auf seine Position, seine Ausbildung und seine Familie, nur die Reihenfolge änderte sich ab und zu. Dem Wesen nach war er ein ruhiger Typ, der klassische Musik hörte und seine Samstagabende gern damit verbrachte, sich einen Spielfilm anzuschauen.
Da San Miguel eine Hafenstadt war und sich in Hafenstädten Matrosen auf Landgang und Touristen im Urlaub tummelten, waren ihm die Schattenseiten der menschlichen Natur nicht unbekannt. Allerdings schrieb er es seinen persönlichen Bemühungen zu, dass die Kriminalitätsrate auf seiner Insel so niedrig war. Der Mord an einem Amerikaner brachte ihn auf, so wie eine lästige Fliege einen Mann aufregen würde, der zufrieden auf seiner Hollywoodschaukel im Garten döste. Ein Cop musste nicht in der Großstadt Dienst tun, um einen professionellen Mord zu erkennen. Aber hier auf Cozumel hatte das organisierte Verbrechen nichts zu suchen, nicht, solange er Dienst tat!
Da Moralas aber auch ein Familienmensch war, verstand er Gefühle wie Liebe und Trauer. So wie er auch Verständnis dafür aufbrachte, dass es Männer gab, die diese Empfindungen nicht zeigten. In der kalten Leichenhalle stand er in der abgestandenen Luft neben Jonas. Der Amerikaner war gut einen Kopf größer, sehr steif und sehr blass.
„Ist das Ihr Bruder, Mr Sharpe?“, fragte er, auch wenn er die Antwort bereits kannte.
Jonas sah die andere Seite der Münze an – in das Gesicht seines Bruders. „Ja.“
Moralas zog sich zurück, um Jonas die Zeit zu lassen, die er brauchte.
Es schien unmöglich zu sein. Jonas wusste, er könnte
Weitere Kostenlose Bücher