Heißer Winter in Texas
Ihr
schwarzes, glattes, glänzendes Haar war zu einem
Pagenkopf mit langem Deckhaar geschnitten. Ihre
vollen Lippen waren rot, und ihre zarte Haut war blaß.
Sie war die schönste Frau, die ich je in meinem Leben
gesehen hatte. Neben ihr sah jeder andere Mensch
unscheinbar und schwerfällig aus. Aber das wußte sie
nicht.
Mir wurde klar, wie lange ich schon dastand und sie
ansah. Ich machte meinen Mund auf, um irgend etwas
zu sagen, brachte aber keinen Ton heraus. Ich machte
meinen Mund wieder zu. Wahrscheinlich sah ich aus
wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Sie stand da, wartete – und dann lächelte sie. In
diesem Moment traf mich eine Kugel aus einer
zwölfkalibrigen Flinte mitten in die Brust. Ich griff mit
beiden Händen nach meinem Herz und stolperte
rückwärts. Ich schaute an mir herunter – aber da war
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kein Blut, ich keuchte nur. Da begriff ich, daß gar
niemand auf mich geschossen hatte. Die Explosion war
nur innerlich. Ihr Lächeln hatte sie ausgelöst.
»Ist alles in Ordnung?« fragte sie besorgt. Ihre
Stimme war tiefer als erwartet und ein wenig heiser.
Das gefiel mir sehr. »Sie sehen ein bißchen seltsam aus.«
Sie trat einen Schritt näher und lächelte wieder – aber
dieses Mal war ich vorbereitet. Es fühlte sich nur an wie
ein Schuß aus einer 45er. Ich schwankte ein wenig und
setzte mich auf das Sofa hinter mir.
»Kann ich Ihnen einen Drink anbieten?« fragte sie.
»Ja, sehr gern«, murmelte ich und nickte.
Sie klingelte nach dem Butler. »Geht es Ihnen auch
wirklich gut?«
»Oh, ja«, versicherte ich. »Es geht mir wirklich gut.
Ich habe bloß die ganze letzte Nacht an einer Reportage
gearbeitet. Wahrscheinlich hat mich das mehr
angestrengt, als ich dachte.«
Sie nickte mitfühlend, also spann ich meine
Geschichte weiter, während ich sprach: »Wenn ich mich
überanstrenge,
kriege
ich
manchmal
diese
Schwindelanfälle und falle in Ohnmacht. Die Ärzte
sagen, ich müßte mir keine Sorgen deswegen machen –
es gibt auch sowieso nichts, was dagegen hilft.« Ich
lächelte tapfer.
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Sie nickte wieder, und ich redete weiter über meine
neue Krankheit. Ich konnte einfach nicht aufhören.
Solange sie dasitzen und mich anlächeln würde, würde
ich dasitzen und reden. Wenn ich ihre Aufmerksamkeit
nur hätte erringen können, indem ich in lila Lederhosen
und einem roten Kopftuch Handstand machte – ich
hätt‹s getan. Glücklicherweise kam es nicht so weit. Ich
war gerade dabei, meiner Krankheit einen Namen zu
geben, als der Butler mit den Drinks kam.
Er schob einen Servierwagen ans Sofa und begann, in
einem Krug Martinis zu mixen. Normalerweise trinke
ich nur Bourbon, aber ich schätzte, das sei hier weniger
angebracht. So nahm ich einen Martini an und trank ihn
in großen Zügen. Mein Mund war vom vielen Reden
ganz trocken, und ich hielt mein Glas zum Auffüllen
hoch. Der Butler spitzte mißbilligend die Lippen. Als
Mrs. Delacroix sich von mir abwandte, um ihm eine
Anweisung zu geben, schnitt ich eine Grimasse und
streckte ihm probehalber die Zunge raus. Er zuckte mit
keiner Wimper.
Ich sah zu, wie sie mit ihm sprach, und mein Herz
tanzte einen Charleston. Ihr langes Kleid hatte dasselbe
Rot wie ihre Lippen. In den Klatschspalten hatte ich
einiges über diese Frau und Ihren Mann gelesen. Es
hieß, sie sei die bestgekleidete Frau von Houston und
trage Kreationen von Mainbocher und von Molyneux,
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der auch Mrs. Wallis Simpson einkleidete. Im Vergleich
mit Lily Delacroix allerdings wirkte Mrs. Simpson wie
eine Landarbeiterin in einem Drei-Dollar-Kleid von der
Stange.
Lily – sie hatte mich zu diesem Zeitpunkt schon
gebeten, sie Lily zu nennen – und ihr Mann waren die
Lieblinge der feinen Gesellschaft von Houston. Sie
waren reich, schön und rasend elegant. Ich hatte nicht
damit gerechnet, Lily zu mögen. Ich hatte sie mir
oberflächlich, eingebildet und dumm vorgestellt. Sie
war es nicht. Ich hätte alles gegeben, um sie nur einmal
zu berühren.
Als der Butler endlich gegangen war, plauderten wir
über die Welt im allgemeinen. Wir sprachen über das
ungewöhnlich kalte Wetter, über Hitler und
Deutschland, König Edward und Mrs. Simpson (die sie
völlig selbstverständlich und ganz ohne etwa Eindruck
schinden zu wollen als David und Wallis bezeichnete –
ich fand später heraus, daß Mrs. Simpson eine entfernte
Cousine von ihr war). Sie war enorm belesen und
kannte die meisten Leute, die für
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