Heißer Winter in Texas
Ich hätte mich in
den Hintern treten können. Sie hatte mir ihr Vertrauen
geschenkt. Einen Moment saß sie stocksteif da, und ich
wartete darauf, daß sie zurückfuhr und aus dem Auto
sprang. Statt dessen legte sie mir wieder die Arme um
den Hals und preßte ihre Lippen auf meine. Sie öffnete
ihren Mund, und als meine Zunge ihre berührte,
durchbrausten mich kleine Stromstöße vom Becken bis
ins Herz.
Sie löste sich von mir und rang nach Luft. »Das ist
wundervoll«, sagte sie und sah mich aus großen Augen
an. Also küßte ich sie weiter. Ich zitterte wie Herbstlaub
im Sturmwind, und meine Beine fühlten sich an wie
Gelee.
»Das ist einfach großartig«, sie holte Luft und lachte
und weinte gleichzeitig. »So etwas hab‹ ich noch nie
gefühlt. Was ist hier bloß los?« Sie wirkte absolut naiv,
fast kindlich, und mein Herz fühlte sich an, als würde es
zerquetscht. Meine rechte Hand lag auf ihrem Knie. Sie
nahm sie, legte sie zwischen ihre Beine und sagte:
»Blitze treffen mich hier und schießen durch meinen
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Körper und zu meinem Kopf wieder heraus. Was ist
das?«
»Sieht aus, als wärst du nicht frigide«, sagte ich und
versuchte, mich so weit zu beherrschen, daß ich nicht
wie eine Rakete durchs Autodach schoß. Sie berührte
meine Wange und küßte mich noch einmal.
»Komm, bleib bei mir heute nacht«, flüsterte ich so
heiser, als hätte ich Halsentzündung.
»Ich kann nicht. Ich muß um zehn zu dieser Sitzung.
Kann ich dich morgen treffen? Ich würde das gern
weiterführen.«
»Aber klar!« Ich mußte lachen, weil sie sich so
formell ausdrückte. Ich hatte einfach alles an ihr gern.
Anice saß auf dem Boden des Autos und sah uns voll
Verachtung zu, weil sie es nicht geschafft hatte, sich
zwischen uns zu drängeln.
»Ich muß ins Bett. Rufst du mich morgen an?«
»Ich habe morgen eine Menge zu erledigen«, sagte
ich. »Was hältst du davon, wenn wir uns den Abend
freihalten, und ich rufe dich an, sobald es geht?«
»Fein«, murmelte sie verträumt und küßte mich noch
einmal. Dann stieg sie aus, und ich wartete, bis sie die
Haustür aufgesperrt hatte, bevor ich den Motor anwarf.
Die Fenster waren beschlagen, und ich lachte laut,
während ich sie mit dem Handtuch abwischte, das ich
für Notfälle unter dem Sitz aufbewahrte.
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Als ich wegfuhr, winkte ich ihr zu und sah im
Rückspiegel, wie sie im Türrahmen stand und mir
nachsah, bis ich aus der Einfahrt auf die Straße bog.
Ein Rätsel zumindest war gelöst. Es gab keine
Unklarheit mehr über ihr Motiv, mich anzurufen und
zum Drink einzuladen – auch wenn es ihr da vielleicht
noch nicht bewußt gewesen war. Ich sang den ganzen
Weg nach Hause und hupte nicht mal den Idioten an,
der aus dem Parkplatz des River Oak Theatre
geschossen kam und mich schnitt.
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6
Bevor wir hineingingen, machten Anice und ich erstmal
einen Rundgang ums Haus, spähten in die Fenster und
lauschten auf Stimmen. Ich hatte keine Lust, mitten in
die nächste Überraschung zu stolpern. Allerdings kam
ich mir vor wie ein Groschenromandetektiv, als ich mit
der Waffe in der Hand das Haus durchsuchte. Erst
danach kuschelte ich mich aufs Bett und dachte an Lily
Delacroix.
Was mir nicht gefiel, war, daß sie erstens verheiratet
und
zweitens
noch
nie
mit
einer
Frau
zusammengewesen war. Viele aufgeregte Stimmen in
meinem Kopf riefen mir zu, bloß die Finger von ihr zu
lassen. Für dieses Problem gab es keine Lösung, bei der
nicht irgendwer leiden würde. Und das wollte
verdammt nochmal nicht ich sein.
Schließlich schüttelte ich entschieden die Gedanken
ab, die wie kleine Geister um Mitternacht aus ihren
Gräbern stiegen, mit ihren Ketten rasselten und ihre
Qual herausstöhnten. Wie üblich würde am nächsten
Morgen alles wesentlich hoffnungsvoller aussehen, und
so machte ich die Augen zu und schlief.
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Das Telefon weckte mich. Kaum zu glauben. Es war
drei Uhr früh und dieses dämliche Telefon klingelte.
Blind griff ich nach dem Hörer. Eine heisere
Männerstimme knarzte: »Ich bring‹ dich um. Egal, wo
du dich versteckst, ich finde dich und mach‹ dich kalt.«
Ich saß kerzengerade im Bett und starrte den
Apparat an. Er hatte nicht aufgelegt – es war kein
Freizeichen zu hören. Ich wartete, hoffte halb, daß das
ein Scherz war. Er krächzte Obszönitäten, die eine
Bordellmutter in Singapur schockiert hätten. Ich knallte
den Hörer auf die Gabel. Der Mann hatte seine
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