Heißer Winter in Texas
nicht erzählen. Aber
alle Leute denken, wir führen eine vollkommene Ehe,
und es gibt keine Menschenseele, mit der ich reden
kann. Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll.«
»Wo ist Andrew?«
»In New York. Er verbringt dort drei Wochen pro
Monat. Er sagt, es sei geschäftlich, aber ich weiß, daß er
eine andere Frau hat. Und, Gott steh mir bei, ich bin
froh drüber. Sie wissen ja nicht, was für eine
Erleichterung es ist, wenn nachts kein Mann in Ihrem
Bett liegt und mit Ihnen schlafen möchte, während Sie
beim Sex vor Grauen am liebsten schreien würden.«
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Möglich, daß ich das nicht wußte, aber ich konnte es
mir vorstellen, und das reichte völlig. Ich kippte meinen
Drink und suchte nach einer passenden Antwort. »Sie
können Ihr Leben nicht für andere leben. Was ist das
Schlimmste, was passieren kann, wenn Sie sich scheiden
lassen?«
»Meine Mutter würde sterben.«
»Nein, das würde sie nicht. Das mag sie Ihnen
einreden wollen, aber es ist nicht wahr. Und selbst
wenn, meiner Ansicht nach wär‹s kein großer Verlust.
Ich kann Frauen nicht ausstehen, die ihre Kinder dazu
manipulieren, Dinge gegen ihren Willen zu tun. Sie war
stark genug, Sie zu dieser Ehe zu überreden. Sie können
mir glauben, daß sie auch genug Kraft haben wird, eine
Scheidung zu überleben.«
»Ich schäme mich so sehr.« Das Elend war ihrer
Stimme anzuhören. »Ich bin ein einziger Fehlschlag. Ich
lasse meine Mutter schon wieder im Stich.«
»Sie lassen schon die ganze Zeit nur eine Person im
Stich: sich selbst. Was hätten Sie mit Ihrem Leben
angefangen, wenn Sie nicht geheiratet hätten? Was
wollten Sie als Jugendliche tun?«
»Ich wollte Künstlerin werden«, schniefte sie in die
Serviette.
Gott sei‹s getrommelt und gepfiffen. Ich schnappte
nach dem Thema wie ein Passagier der Titanic nach
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einer Schwimmweste. Wir sprachen über Kunst, das
Hauptfach ihres Collegeabschlusses. Sie hatte außerdem
Goldschmiedin werden wollen. Ich ermutigte sie, diese
Arbeit wieder aufzunehmen. Ihr Gesicht begann zu
strahlen. Sie war entzückt von der Vorstellung und
plante, sich das nötige Werkzeug zu beschaffen, um neu
anzufangen.
In der Nähe der Bar hatte eine Pianistin zu spielen
begonnen. Sie seufzte, sang und schluchzte Lieder mit
einer Stimme, die der pure, nackte Sex war. Wir
unterhielten uns lange, und zwischendurch lauschten
wir der Sängerin. Lily sah fröhlicher aus, als ich sie je
gesehen hatte, wohl weil endlich einmal ausgesprochen
war, was sie so lange als Staatsgeheimnis mit sich
herumgetragen hatte. Es schien, als sei ihr die Last des
Erdballs von den Schultern genommen, nur weil sie
jemandem erzählt hatte, daß sie eine miserable Ehe
führte. Es war kaum zu glauben, um wieviel glücklicher
Menschen sein konnten, wenn sie die Maske fallen
ließen und aufhörten, sich und andere zu belügen.
»Ich muß meinen Chauffeur anrufen, daß er mich
abholt«, sagte sie schließlich mit einem Blick auf die
Uhr. »Ich bin in einem Kommittee für die
Jahrhundertfeier, und wir haben morgen früh um zehn
Uhr eine Sitzung.«
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Ich sah auf die Uhr und stellte erstaunt fest, daß es
ein Uhr morgens war, wir saßen seit fast drei Stunden
zusammen.
»Ich fahre Sie nach Hause«, bot ich ihr an. Es war
kein großer Umweg, und ich wollte den Abend noch ein
bißchen verlängern.
»Macht das auch bestimmt keine Umstände?« fragte
sie.Der für die Autos zuständige Livrierte fuhr meinen
Wagen vor. Anice rollte sich auf Lilys Schoß zusammen,
als wären sie alte Freundinnen. Ich fuhr Richtung River
Oaks. Wir plauderten gemütlich, und ich machte
bewußt einen Umweg. Trotzdem hielten wir
irgendwann vor ihrem Haus.
»Danke fürs Mitnehmen und Zuhören. Ich fürchte,
ich habe Sie mit meinen Problemen belastet, aber ich
verspreche Ihnen, daß ich das nächste Mal kein Wort
darüber verlieren werde.«
Ich versicherte ihr, daß sie mir keine Last gewesen
war und daß sie immer mit mir reden könne, wenn es
ihr ein Bedürfnis sei.
Sie hatte schon den Türgriff in der Hand. Dann
zögerte sie, bog sich mir entgegen, legte mir die Arme
um den Hals und drückte mich. »Ich danke Ihnen so
sehr.«
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Ich umarmte sie ebenfalls. Ihr Kopf streifte mein
Gesicht. Sie drehte sich zu mir, um noch etwas zu sagen,
und als sie das tat, küßte ich sie auf die Lippen. Ich weiß
nicht, was mich dazu trieb – einen winzigen Augenblick
lang schien es einfach das Richtige.
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