Heißer Winter in Texas
Meine Familie
war den irischen Sümpfen entwatet. (Ich konnte sie mir
gut auf der Überfahrt vorstellen, wie sie sich gegenseitig
herumschubsten, einander auf die Schulter schlugen und
grunzten.) Sie gab ein paar amüsante Anekdoten aus
dem familiären Schatzkästlein zum Besten, und ich
gewann allmählich meine Fassung wieder, nicht
unerheblich unterstützt von dem Kellner, der mir ein
neues Glas hinstellte, kaum daß ich das alte geleert
hatte. Ich stützte die Ellbogen auf den Tisch und das
Kinn in die Hände und starrte sie unentwegt an,
während sie sprach.
Sie beendete eine Geschichte und sah mich
erwartungsvoll an, als sei ich nun an der Reihe. Ich
schaute sie weiter an. Sie hob die Hand, strich sich die
Haare aus dem Nacken, schüttelte kurz den Kopf, ein
Schimmern, und dann lag jedes einzelne Haar da, wo es
hingehörte. Ich war hin und weg. Ein splitternackter
Hamlet, gespielt von Shakespeare persönlich, hätte
mich nicht annähernd so beeindruckt.
Ich stemmte die linke Hand in die Hüfte. Mein Kinn
lag immer noch in meiner rechten. »Sie sind schön.« Es
war eine Tatsache. Ich flirtete nicht. Es war genauso
sicher und wahr und unausweichlich wie der
Sonnenaufgang am nächsten Morgen.
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Sie errötete schüchtern. »Sie sehen auch nicht schlecht
aus«, bemerkte sie und zog leicht den Kopf ein. Dann
sah sie mich an und nippte an ihrem Courvoisier. »Darf
ich Sie etwas Persönliches fragen?«
Au, Scheiße, dachte ich, jetzt kommt‹s. Ich nickte. Ich
konnte es ebensogut hinter mich bringen.
»Mögen Sie Frauen?« Nervös nahm sie sich noch eine
Zigarette und zündete sie umständlich an.
Ich sagte nur ja. Was hätte ich sonst sagen können?
Es war der Moment, in dem die meisten heterosexuellen
Frauen mit entsetztem Aufschrei die Flucht ergriffen.
»Gut. Ich bin froh darüber.« Sie sagte es ganz
beiläufig, als wäre es die übliche Antwort.
Ich hatte mich getäuscht. Sie war jeder Göttin um
Lichtjahre voraus. Sie war unbeschreiblich. Mein Herz
bekam Flügel, und die flatterten so wild wie die eines
Kolibri, der seinen Schnabel in einem Geißblattbusch
vergraben hat. Mein Gesicht prickelte und fühlte sich
heiß an.
»Warum haben Sie mich angerufen?« fragte ich
schließlich.
»Ich weiß es nicht. Ich hatte nur den Eindruck, daß
ich mit Ihnen reden kann. Es geschehen Dinge, die ich
nicht ganz begreife, und ich wüßte nicht, wem ich sonst
vertrauen könnte.«
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»Und Ihr Mann?« Ich mußte diese Frage stellen. Ich
wollte bis zum Kern vorstoßen. Ich wollte aus ihrem
eigenen Mund hören, daß sie diesen Widerling nicht
ausstehen konnte.
Sie schüttelte den Kopf, und Tränen glitzerten in
ihren Augen. Sie tupfte sie mit dem Handrücken ab,
und ich reichte ihr eine Cocktailserviette. »Würden Sie
mich entschuldigen? Ich muß mir die Hände waschen.«
Ich schüttelte den Kopf, dann merkte ich, daß ich
eigentlich hätte nicken müssen. Also nickte ich. Sie
stand auf und ging weg. Ich wußte nicht genau, was ich
von diesem Treffen erwartet hatte, aber bestimmt nicht
dies.
Dann kam sie zurück, setzte sich wieder und erzählte
mir, daß sie Andrew nie wirklich geliebt hatte. Sie war
mit ihrem besten Freund vom College nach New
Orleans durchgebrannt und hatte ihn geheiratet, um
Andrew zu entkommen. Es stellte sich heraus, daß der
Junge homosexuell war, und eines Nachts wurde er zu
Tode geprügelt, und seine Leiche lag in der Pirate‹s
Alley, nicht weit von ihrer gemeinsamen Wohnung.
Nach Ansicht der Polizei hatte ihn jemand umgebracht,
den er in einer der Bars in der Bourbon Street
aufgegabelt hatte. Ihre Mutter hatte immer schon
gewollt, daß sie Andrew heiratete. Sie erzählte ihr so
oft, wie gut sie zueinander paßten, daß Lily es am Ende
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selber glaubte. Oder sich zumindest einredete, daß sie
es glaubte. Sie heiratete, damit die alte Schreckschraube
endlich Ruhe gab. (Dieses Wort beschreibt ihre Mutter
aus meiner, nicht aus ihrer Sicht). Sie war überzeugt,
daß er mit ihrer Ehe genauso unglücklich war wie sie,
aber zu wohlerzogen, um es auszusprechen.
»Ich hätte niemals heiraten sollen. Ich bin frigide. Ich
habe es schon immer gewußt«, sagte sie beschämt und
zugleich wütend auf sich selbst.
Ich gab ihr noch eine Serviette für ihre Tränen und
suchte mit Blicken verzweifelt nach dem Ober.
Schleunigst noch einen Drink für mich, signalisierte ich
wild mit beiden Armen.
»Ich sollte Ihnen das alles gar
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