Heißer Winter in Texas
dachte daran,
bei Gael vorbeizufahren und sie zum Mitkommen zu
überreden, entschied dann aber, daß sie mir genug
geholfen hatte. Sie konnte nicht ewig Kindermädchen
spielen.
Seit meinem Telefongespräch mit Colette war etwa
eine Stunde vergangen, als ich auf dem Montrose
Boulevard vor dem Wohnhotel Plaza parkte. Ich
248
schnappte mir die Decke vom Rücksitz und deckte
Anice damit zu, damit sie nicht fror, solange ich weg
war. Ich gab ihr einen Ingwerkeks von der Notration
aus der Manteltasche, die nicht von einer Kanone belegt
war, und betrat das Hotel.
Hinter der Rezeption war niemand zu sehen. Der
Klang einer Männerstimme, die von einem Klavier
begleitet den Blues sang, ertönte aus der Bar und perlte
durchs Foyer. Ich stand mit geschlossenen Augen und
ließ die Töne durch mich hindurchfließen. Meine
Anspannung ließ nach, und ich lächelte, weil ich solche
Manschetten hatte. Ich holte tief Atem und hielt die Luft
einen Moment, um noch mehr von der Anspannung
abfließen zu lassen. Mir war gar nicht bewußt gewesen,
was für einen Heidenbammel ich gehabt hatte. Es war
höchste Zeit für einen Urlaub, bevor ich anfing, Monster
mit behaarten Händen und blutigen Klauen zu sehen,
die nächtens den Mond anheulten.
Ich stiefelte zum Aufzug, nickte im Takt der Musik
und beschloß, auf dem Rückweg in der Bar
vorbeizugehen und ein Weilchen zuzuhören.
Im vierten Stock trat ich beschwingt auf den Gang
hinaus, der völlig leer war – abgesehen von den rund
dreißig Leuten, die mit gereckten Hälsen auf den
Zehenspitzen versuchten, einander über die Köpfe zu
249
spähen, während sie sich vor Colette Chateaus Tür
drängten. Kalter Schweiß brach mir aus allen Poren.
Ich hätte wieder in den Aufzug steigen können, ohne
auch nur zu fragen. Statt dessen wanderte ich den Gang
hinunter. Meine Beine schienen aus Blei zu sein, und der
Weg wurde immer länger. Ich wanderte ungefähr
hundertfünfundvierzig Jahre, aber schließlich kam ich
an. In der letzten Reihe der Menge stand eine alte Dame
in einem schwarzen Wollkleid, ihr silbernes Haar war
geflochten und wie eine Krone um ihren Kopf gelegt.
Ich tippte ihr auf die Schulter und fragte, was passiert
sei, obwohl ich es eigentlich nicht hören wollte.
»Da drin ist ein totes Mädchen. Sie haben ihr den
Kopf eingeschlagen. Jemand meinte, sie sei eine Frau
von zweifelhaftem Ruf, aber das ist mir egal. Den Tod
hat sie nicht verdient.«
»Hunderttausend Höllenhunde«, murmelte ich. Mein
Herz raste ungleichmäßig wie ein Hundertmeterläufer
mit Holzbein. Meine Beine zitterten krampfartig. »Hat
schon jemand die Polizei geholt?«
»Mr. Barham hat von seiner Wohnung aus
angerufen.« Sie zeigte auf eine Tür gegenüber Colettes,
und wir wandten uns um und betrachteten sie
ehrfürchtig. Es ist immer wieder seltsam, wie in einem
Mordfall alles, was irgendwie mit den Beteiligten
zusammenhängt, ganz gleich wie geringfügig, plötzlich
250
eine Bedeutung erlangt, die es sonst nie bekommen
hätte.
»Hat jemand gesehen, wer es war?« fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe schreckliche Angst,
daß ein Mörder hier durch die Gänge schleicht. Ich
werde wohl meine Tochter anrufen und bei ihr wohnen,
bis sie ihn gefangen haben. Hier bleibe ich ganz
bestimmt nicht.« Ihre Augen glitzerten. Keine zehn
Pferde hätten sie dazu gebracht, das Hotel zu verlassen.
Es war ein schauerlicher Mord, aber er gab den
Bewohnern
Gesprächsstoff,
der
für
viele
Kaffeestündchen reichte und wesentlich ergiebiger war
als Verdauungsprobleme.
Ich hörte Sirenen in der Ferne, rannte zum Fahrstuhl
und hieb auf den Knopf ein. Die Türen öffneten sich
unendlich langsam, und der Aufzug hatte es so eilig wie
Jack Benny beim Bezahlen in einem Vier-Sterne-
Restaurant.
In der Halle steuerte ich die Telefonzelle an. Ich
setzte mich hinein, wartete und hörte dem Ventilator
zu, der sich einschaltete, sobald die Tür geschlossen
wurde. Zwei Polizisten stürmten durch den
Haupteingang in die Hotelhalle und rannten zum
Fahrstuhl. Ich warf eine Münze ein und wählte die
Nummer des Polizeireviers.
251
»Frank Brumfield, bitte.« Meine Stimme klang
kratzig, und ich holte ein paarmal tief Luft, während ich
wartete, daß ich durchgestellt wurde. »Brumfield.«
»Frank. Hollis hier. Ist Darryl Wade da?«
»Nein, und ich habe im Moment keine Zeit.«
»Ich weiß. Du bist auf dem Sprung zum Plaza, um in
Sachen Mord an einer
Weitere Kostenlose Bücher