Heißes Blut: Anthologie (German Edition)
die Dinge sehr schnell außer Kontrolle geraten.
Mit größter Wachsamkeit öffnete sie die Wagentür und trat auf den Asphalt hinaus. Der Nachtwind, der ihr ins Gesicht blies, brachte das Bellen eines fernen Hundes und den Duft des Geißblatts neben der Straße mit. Der Kühler des Streifenwagens tickte. Sie setzte ihren breitrandigen Deputy-Hut auf, zog ihn so tief in die Stirn, wie es die Vorschriften verlangten, und näherte sich dem Jaguar. Dabei hielt sie den Blick auf den Hinterkopf des Fahrers gerichtet. Mit dem instinktiven Misstrauen, das sie sich in fünf Jahren als Cop erworben hatte, glitt ihre Hand zu ihrem Holster. Doch trotz der Gefahr genoss ein Teil von ihr den Kick des Risikos und das Adrenalin, das wie verrückt in ihren Adern brodelte.
Der Raser machte jedoch keine verdächtigen Bewegungen.
Das Fenster des Jags fuhr leise summend herab, und Grace’ Blick glitt schnell über den Schoß des Fahrers und den Beifahrersitz neben ihm. Keine Waffen, nichts Verdächtiges. »Führerschein und …« Sie verstummte, als sie den Blick zu ihm erhob.
Die Zeit schien stehen zu bleiben, zumindest dehnte sie sich zwischen einem harten Herzschlag und dem nächsten geradezu endlos aus. Grace kannte den Mann, erkannte dieses gut geschnittene, kantige Gesicht mit den hohen Wangenknochen und der schmalen Nase, die teuflisch verführerischen Lippen und die schön geschwungenen dunklen Augenbrauen. Etwas durch und durch Weibliches erwachte in Grace und durchströmte sie mit einer intensiven Wärme, als sie in hellbraune Augen blickte, die viel zu viel über ihre geheimen Träume wussten. Träume, die die großen, langfingrigen Hände, die auf dem Lenkrad des Jaguars lagen, sehr gut zu erfüllen imstande wären.
Sie ertappte sich bei der Frage, die sich schon so viele andere gestellt hatten – Männer mit Furcht und Frauen erwartungsvoll: Ist er meinetwegen hier? Es war eine zweischneidige Frage, da er ebenso mühelos töten wie verführen konnte. Sie hatte ihn dabei beobachtet.
»Hallo, Grace«, sagte er.
Trotz der Gefahr stieß die Sechzehnjährige in ihr, die sich an ihn erinnerte, einen entzückten kleinen Schrei aus. Grace fauchte sie im Stillen an, aber dann versteifte sie sich in aufrichtiger Bestürzung. Verdammt! Die Kamera! Sie filmte gehorsam alles mit, und das Mikro an Grace’ Schulter nahm jedes ihrer Worte auf. Und dummerweise ließ es sich nicht abstellen. »Führerschein und Fahrzeugpapiere«, begann Grace von Neuem, um einen kühlen, reservierten Ton bemüht, und formte mit den Lippen dann die Worte: »Wir werden gefilmt« , bevor sie laut fortfuhr: »Wissen Sie, wie schnell Sie gefahren sind, Sir?«
Seine Augen glitten zu dem Strafzettelblock in ihrer Hand. »Etwa siebzig Meilen, schätze ich.« Seine Stimme war wie Sünde und seidene Laken, tief und dunkel und verführerisch.
»Hier ist Tempo fünfundvierzig«, sagte sie.
Mit dem diabolischen Lächeln, an das sie sich so gut erinnerte, nahm er die Brieftasche heraus. »Ich darf wohl nicht annehmen, dass Sie mich mit einer Verwarnung davonkommen lassen?«
Unter der Krempe ihres Hutes bedachte sie ihn mit ihrem kältesten und gleichgültigsten Blick. »Nein, Sir.« Ich bin schließlich keine sechzehn mehr, verdammt!, fügte sie lautlos hinzu.
Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. Gut. Grace nahm den Ausweis aus diesen geschickten Fingern, wandte sich ab und ging zurück zu ihrem Wagen, um den Strafzettel auszufüllen.
Sie setzte sich hinter das Steuer und sah sich im schwachen Licht der Innenbeleuchtung den Führerschein genauer an. John Lance, 120 Avalon Way, Brentwood, Kalifornien . Unser Held war einfach unbeschreiblich gut aussehend.
Und Grandma wurde immer raffinierter.
Nicht, dass Grace etwa die Absicht hätte, den beiden zu geben, was sie wollten.
Was für ein Spiel trieb sie mit ihm?
Düster starrte der Mann, der sich John Lance nannte, die Hecklichter von Grace Morgans Crown Victoria an. Nachdem sie ihm den Hundertfünfzig-Dollar-Strafzettel verpasst hatte, war er überzeugt gewesen, dass sie ihren Wagen zu irgendeiner abgelegenen Stelle lenken würde, wo sie miteinander reden konnten. Stattdessen jedoch fuhr sie seelenruhig weiter Streife und ignorierte seine Scheinwerfer in ihrem Rückspiegel, obwohl er buchstäblich an ihrer Stoßstange klebte.
Warum?
Sie musste doch wissen, warum er hier war und was für eine Möglichkeit er ihr anbot – eine Chance, um die andere Frauen kämpften, bettelten und intrigierten.
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