Heißes Blut: Anthologie (German Edition)
verlagernder Luft, das bedeutete, dass sich ein Tor zur Parallelwelt öffnete und schloss. Grace musste den magischen Generator in der Bibliothek gefunden haben.
Lance’ Gedanken schweiften immer wieder zu dem Moment kurz vor ihrem Erwachen aus dem Albtraum ab. Irgendetwas hatte ihn geweckt; er schlief nie sehr tief um diese Zeit. Es fehlten noch zwei Stunden, ehe er seinen Tagesschlaf beginnen musste und es schier unmöglich sein würde, ihn zu wecken, solange sein Körper die Energien aufnahm, die er aus dem Mageverse benötigte.
Mehrere Minuten hatte er in wohliger Ermattung dagelegen, mit Grace im Arm und ihrem Kopf an seiner Schulter. Von ihrem Duft umhüllt, ihren Herzschlag in den Ohren, hatte ein tieferer Frieden von ihm Besitz ergriffen, als er je zuvor erfahren hatte.
Dann war sie aus dem Albtraum erwacht, mit einem Ausdruck solch hilflosen Entsetzens in den Augen, dass Lance ihre Furcht bis ins eigene Herz gespürt hatte. Sie zu trösten und ihr die Angst zu nehmen, war überaus befriedigend gewesen.
Doch nun, da sie gegangen war, empfand er die Stille der Burg als umso bedrückender. Nie zuvor hatte er sich so verlassen gefühlt. Ihm war bisher nicht einmal bewusst gewesen, wie ungeheuer einsam er gewesen war.
Und deshalb wälzte er sich nun unruhig auf den Fellen herum und fragte sich, wann Grace wiederkommen würde. Bis zum Tagesschlaf fehlte jetzt höchstens noch eine Stunde, das konnte er an seinem Körper spüren. Er merkte, dass er hoffte, Grace möge da sein, wenn er erwachte, und wenn auch nur, um ihm eine weitere ihrer scharfzüngigen Predigten zu halten. Sie … bereicherte selbst dann sein Leben, wenn sie ausgesprochen schlechter Laune war. Vielleicht, weil er sie verstand, wie er nur wenige Majae verstand. Trotz ihrer unterschiedlichen Geschlechter – und seiner weitaus größeren Erfahrung – bestanden im Grunde viel mehr Ähnlichkeiten zwischen ihnen als Unterschiede. Wie er war sie ein Krieger, ein Beschützer, jemand, der den Sinn seines Lebens darin sah, den Hilflosen beizustehen und ihr Leben ein kleines bisschen zu verbessern.
Leider war ihm aber auch bewusst, dass er sie nur noch selten sehen würde, nachdem sie die Gabe erhalten hatte und die Mageverse-Energien beherrschte. Der Hohe Rat würde ihn auf andere Missionen schicken, und sie würde ihre eigenen haben.
Ein Gefühl der Leere, das ihn sehr erstaunte, stellte sich bei dem Gedanken ein. Es sei denn …
Er behielte Grace . Abrupt setzte Lance sich auf und starrte blind die gegenüberliegende Wand an. Ja, das würde möglich sein. Ein Teil der mädchenhaften Verliebtheit, die sie vor Jahren für ihn empfunden hatte, war immer noch vorhanden. Auf diesem Gefühl konnte er aufbauen und es nutzen, um sie bei sich zu behalten.
Nur gab es leider einen großen Haken bei der Sache: Er würde die Zustimmung des Hohen Rates dazu einholen müssen. Und angesichts der Tatsache, dass zwei seiner mächtigsten Mitglieder Guinevere und Artus waren, war es eher unwahrscheinlich, dass er sie erhalten würde. Zum Glück hatte Grace ihm zwei Asse in die Hand gegeben, die er ausspielen konnte: zum einen ihre jugendliche Vernarrtheit in ihn und zum anderen Morganas Entschlossenheit, dafür zu sorgen, dass ihre Enkelin die Gabe erhielt.
Lance stand auf und ging ins Bad, weil er wusste, dass er sich auf die bevorstehende Besprechung so sorgfältig vorbereiten musste, wie er sich in früheren Jahren auf Schlachten vorbereitet hatte. Heute mochte er zwar Armani statt einer Rüstung tragen, aber der Einsatz war genauso hoch.
Weil er nämlich das Gefühl nicht loswurde, dass sein Leben auf dem Spiel stand.
»Ich habe sie«, berichtete Lance Morgana eine Stunde später. Falls er ihre Zustimmung zu seinen Plänen bezüglich ihrer Enkelin gewinnen konnte, würde der Rest des Rates ihm nicht im Wege stehen. »Sie wehrt sich noch, doch ihr Widerstand erlahmt bereits. Wenn ich zum dritten Mal zu ihr gehe, wird sie nicht Nein sagen.«
Morgana schenkte ihm ein katzenhaft zufriedenes Lächeln. »Ich wusste, dass sie dir nicht würde widerstehen können.«
»Danke für dein Vertrauen«, erwiderte Lance, der seine Chance gekommen sah. »Doch sobald Grace die Gabe hat, will ich im Ausgleich dafür etwas von dem Hohen Rat.«
Die dunklen Brauen der Hexe fuhren in die Höhe, als sie sich auf ihrem Schreibtischsessel zurücklehnte. Ihre langen, schlanken Finger spielten mit der weißen Perlenkette, die ihrem strengen weißen Hosenanzug einen Hauch von
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