Heißes Blut: Anthologie (German Edition)
Doktors. Aber nichts deutete auf die Anwesenheit des Tieres hin. Erst als sie sich dessen sicher war, kletterte sie durch das Fenster und schloss es hinter sich. Prüfend blickte sie sich um, nur um sicherzugehen, dass sie allein war, und nahm sich sogar die Zeit, das zerbrochene Glas aufzufegen, bevor sie ein dickes Scheit ins Feuer legte und sich ein gemütliches Plätzchen suchte, um den Rest der Nacht mit ihrem Rucksack dicht neben sich abzuwarten.
Dummerweise war es ein bisschen zu gemütlich in Samuels dickem Polstersessel, besonders in der Wärme des Kamins, die sich um sie legte wie eine warme Decke. Jenny merkte erst, dass sie eingeschlafen war, als ein dumpfer Aufprall an der Eingangstür sie erschrocken aus dem Sessel auffahren ließ. Sie war schon auf den Beinen, bevor sie auch nur richtig wach war. Aber dann war wieder alles still. Die Augen auf die Tür geheftet, jeder ihrer Sinne in Alarmbereitschaft, stand Jenny im Dunkeln da und schlang die Arme um ihren Oberkörper.
Der Türknauf bewegte sich ein ganz klein wenig. Dann hörte sie ein leises Stöhnen und ein Geräusch, als rutschte irgendetwas über die Tür.
Jenny unterdrückte ihre Angst, zog den Revolver aus dem Rucksack und bewegte sich sehr vorsichtig zur Tür. Dort angekommen griff sie nach dem Knauf.
Ein leises, schnüffelndes Geräusch, dem ein tiefes Bellen folgte, ließ sie vor Schreck fast an die Decke gehen. Sie wich drei Schritte zurück und eilte dann zu einem Seitenfenster, um hinauszusehen.
Von hier aus konnte sie den wedelnden Schwanz von Samuels Wolfshund sehen. Es stand mit gesenktem Kopf vor der Eingangstür.
Durfte sie riskieren, die Tür zu öffnen, um nachzuschauen, was draußen vor sich ging? Es war noch immer dunkel, aber nicht mehr ganz so sehr. Der ferne Himmel färbte sich allmählich grau, und der Mond war nirgendwo in Sicht. Nicht, dass sie je geglaubt hätte, er müsse sichtbar sein, damit ein Mensch sich in einen Wolf verwandeln konnte. Oder dass ein Mensch überhaupt – ganz gleich, unter welchen Umständen – die Gestalt eines Wolfes annehmen könnte . Trotzdem …
Mojo war freundlich zu ihr gewesen bei ihrem ersten Besuch hier. Das könnte diesmal jedoch anders sein.
Der Wolfshund bellte wieder. Es war kein ärgerliches, aber dennoch ein nachdrücklich klingendes Bellen vor der Tür, soweit Jenny das beurteilen konnte.
»Er ist ein Wolf«, sagte sie sich laut. »Es ist nicht so, als wüsste er nicht bereits, dass ich hier drinnen bin.«
Und so steckte sie sich den Revolver hinten in den Hosenbund und ging zur Tür, wo sie vorsichtig den Knauf umdrehte und einen Spaltbreit öffnete.
Dann aber riss sie die Tür so weit auf, wie sie konnte, weil Samuel zu ihren Füßen lag, ohne einen Fetzen Stoff am Leib, und sein Hund ihn mit der Nase anstieß, ihm das Gesicht leckte und ihn anstupste, als versuchte er, sein Herrchen zum Aufstehen zu bewegen.
Für einen Moment konnte sie nur dastehen und Samuel anstarren. Er sah aus wie ein gefallener, angeschlagener Engel – Luzifer nach dem Sturz. Stark und männlich, von wunderbarem Körperbau und geradezu vollkommen – der perfekte Mann.
Sie ließ sich auf die Knie fallen, griff nach Samuels warmen, harten Schultern und drehte ihn behutsam auf den Rücken. Seine Brust war wie gemeißelt, seine Arme und Schultern waren kräftig, sein Bauch war flach und muskulös. »Samuel? Ist alles in Ordnung mit dir?«
Seine Augen waren geschlossen, aber Jenny war nicht sicher, ob das daran lag, dass er bewusstlos war oder weil seine Lider geprellt und angeschwollen waren. »Mein Gott, was ist passiert, Samuel?«
»Was … machst du hier?«, fragte er stockend und mit rauer Stimme.
»Ich warte auf dich.«
Er versuchte, sich aufzusetzen, und Jenny ergriff seine Unterarme und half ihm, als er sich hochkämpfte und, von seinem schwanzwedelnden Hund umtänzelt, ins Haus hinkte. Ihr Herz verkrampfte sich vor Mitgefühl, und sie schloss rasch die Tür hinter ihnen.
»Es ist nichts Schlimmes«, sagte er. »In ein paar Stunden geht’s mir wieder gut.«
»Ein schöner Arzt bist du. Es wird wohl eher ein paar Wochen dauern, bis du wieder auf den Beinen bist.«
»Ich brauche … mein Bett.«
»Du brauchst ein Krankenhausbett. Aber vorläufig wird deins genügen müssen.« Sie stützte ihn, als sie langsam zu seinem Schlafzimmer hinübergingen. »Einen Moment«, sagte sie und schlug die Decken auf dem breiten Bett zurück, einem rustikalen, aus klobigem Kiefernholz gezimmerten
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