Heißes Eis
bedrohlicher Gesichtsausdruck wirklich nur gespielt ist.
«Na gut, ich fasse sie an, aber dann bringst du sie ans andere Ende der Ruine, bevor du sie freilässt!»
«Freilassen? Ich dachte wir essen sie danach!»
Das blanke Entsetzen springt mir ins Gesicht. Doch als Ben laut losprustet vor Lachen wird mir sofort klar, dass ich natürlich mal wieder auf einen seiner Scherze hereingefallen bin. Er könnte auch Schauspieler werden, so überzeugend wie er seine Späße inszeniert.
«Du kannst froh sein, dass dich dieses Ungeheuer vor mir schützt, sonst würde ich jetzt deine Eingeweide ausweiden!»
Bens Lachen erstirbt, aber er grinst mich noch immer schelmisch an.
«Natürlich essen wir sie nicht, aber eigentlich ist nichts dabei! Ich habe gelesen, Schlange soll gut schmecken, ähnlich wie Hühnchen!»
Ich muss mich bei dem bloßen Gedanken daran schütteln.
«Hör endlich auf, ich will nichts mehr davon hören!»
Zumindest habe ich mich mittlerweile an den Anblick der Schlange in Bens Händen gewöhnt und sie wirkt auf mich schon gar nicht mehr so abschreckend, wie noch am Anfang.
«Aber du bringst das Vieh doch weg von mir, bevor du es freilässt, oder?»
«Ja, ich verspreche es!»
Ich gehe einen Schritt auf Ben zu und strecke zittrig meine Hand nach dem Tier aus. Vorsichtig fahre ich mit dem Zeigefinger über die schuppige Haut. Tatsächlich fühlt sie sich nicht glitschig an, sondern eher wie glatt poliertes Leder. Sie ist graubraun mit schwarzen Längsstreifen oben und dunklen Flecken an der Seite. Die Treppennatter umwickelt Bens Hand, mit der er sie fixiert und schlingt ihren Laib um seinen Arm, aber das scheint ihn überhaupt nicht zu beeindrucken. Ich werde mutiger und fahre mit der ganzen Hand über die Schuppen. Das Tier windet sich unter meiner Berührung und ich kann die kräftigen Muskeln unter der Haut spüren. Ich komme noch einen Schritt näher und jetzt rieche ich Ben – ein bisschen verschwitzt vom Aufstieg, männlich, verwegen - nach Wildnis und Freiheit. Ich schließe kurz die Augen und atme tief ein, dabei gleitet meine Hand versehentlich von der Schlange ab auf Bens muskulösen Arm und die Berührung jagt mir einen prickelnden Schauer durch den Leib. Ich ziehe die Hand erschrocken zurück, als hätte ich mich verbrannt.
«Sie hat dich nicht gebissen!», entgegnet Ben grinsend, der zum Glück die Ursache für meine heftige Reaktion missversteht. Ich sehe ihn mit großen Augen an, weil mir nicht mehr die Schlange in seinen Händen Angst macht, sondern die Reaktion meines Körpers auf die Berührung dieses Mannes.
«Und, wars so schlimm?», fragt er, da er meinen ängstlichen Blick offensichtlich missdeutet.
Ich schüttele den Kopf.
«Ich hatte es ja nicht geglaubt, aber die Schlange ist weder eklig, noch glitschig, noch gefährlich! Jetzt, wo sie ihr langes Maul mal wieder schließt, hat sie sogar ein hübsches Gesicht.»
«Dann muss ich sie jetzt nicht bis ans andere der Welt bringen, um dich vor ihr zu schützen?»
«Nein, wenn sie sich nicht grade um meine Füße schlängelt...»
«Ich bring sie dann nur zu dem Steinhaufen dort vorne!»
Ben geht einige Meter weiter und setzt das Tier vorsichtig ab. Kaum hat die Schlange den Boden berührt, schlängelt sie sich rasch davon und Ben kehrt selig grinsend zu mir zurück. Diese Vorstellung hat ihm sichtlich großen Spaß gemacht. Ich würde das vor ihm nie zugeben, aber er hat mich zutiefst beeindruckt damit.
«Tja, dann sollten wir uns jetzt schleunigst auf den Rückweg machen, damit wir ankommen bevor es dunkel wird!», sagt Ben.
Wir schultern unsere Rucksäcke und traben die Stufen der großteils verfallenen Treppe hinunter. Dieses mal gehe ich voran. Die Hitze ist noch immer erdrückend und ich sehne schon den Abend herbei, wenn ich mich in die erfrischenden Fluten des Meeres stürzen kann. Heute Nacht werde ich sicherlich schlafen wie ein Stein. Bergab geht es bedeutend schneller als beim Aufstieg und da wir den Weg jetzt schon kennen, haben wir das Meer bald erreicht.
«Ben?»
Bevor ich mit meiner Frage fortfahren kann, antwortet er langgezogen mit einer Gegenfrage:
«Sanne?»
Ich grinse und verdrehe die Augen. Dieser ewige Quatschmacher!
«Wieso haben wir beim Aufstieg keine Schlange gesehen, wenn es hier so viele gibt?»
«Da war es den Tieren wohl noch zu heiß. Die verkriechen sich mittags unter den Steinen.»
«Und wie hast du das so schnell gemacht, diese Schlange zu fangen?»
«Ich bin in der Nähe eines
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